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Die Vorbereitungen sind abgeschlossen, die Spiele werden eröffnet. Ihr Gelingen liegt auch in den Händen der rund 10.500 teilnehmenden Sportler.

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Auch Britanniens Tennisstar Andy Murray trug das olympische Feuer, ehe er zum Schläger greift. In der ersten Doppelrunde hat der Schotte mit seinem Bruder Jamie gegen die Österreicher Jürgen Melzer und Alexander Peya anzutreten.

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Der Tag ist da. Am Freitag Abend um zwölf Minuten nach acht Uhr Ortszeit soll die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele 2012 beginnen. Am Morgen um zwölf Minuten nach acht wird das Ereignis eingeläutet - im Wortsinn. Von der St Paul's Cathedral und von Big Ben, von Kirchtürmen und Rathäusern in allen Ecken des Landes erschallen für drei Minuten alle verfügbaren Glocken. Der Idee des Performance-Künstlers Martin Creed zufolge soll sich auch die Bevölkerung mit Glockengeläut (Schule, Fahrrad, Haustür) beteiligen. Ganz Begeisterte konnten eine App aufs Smartphone herunterladen. "Wir sind unglaublich aufgeregt", sagt Ruth Mackenzie, Leiterin der Kulturolympiade, "die ganze Bevölkerung kann teilhaben an einem geschichtlichen Ereignis."

Alle längst da

Der olympische Zirkus ist in einer Stadt gelandet, in der die 204 teilnehmenden Nationen längst vertreten sind, in der 300 Sprachen gesprochen werden. Braucht die Acht-Millionen-Metropole den 16-tägigen Event - eine globale Verkaufsmesse, ein TV-Ereignis für Milliarden von Sportfans, "das Äquivalent von 26 Weltmeisterschaften", wie Organisationschef Sebastian Coe nicht müde wird zu betonen? Von Anfang an gab es lautstarke Zweifel.

Mit einem Preis von 19,1 Milliarden Euro, die Tony Travers von der London School of Economics veranschlagt, würden die Spiele das rezessionsgebeutelte Land teuer zu stehen kommen. Bewacht von inzwischen 18.000 Soldaten und mehr als 20.000 Polizisten, verwandle sich der Osten der Stadt in eine Festung. In der Stadt mit der ältesten U-Bahn der Welt und einem "mittelalterlichen Straßennetz" (Travers) sei das Verkehrschaos programmiert.

Die Befürworter haben von der Umkrempelung des vernachlässigten East End geschwärmt. Vor allem aber wurde von Anfang an die Teilhabe möglichst vieler großgeschrieben. "Dabei sein ist alles" - auch im Zeitalter der totalen Professionalisierung und Kommerzialisierung des Spitzensports.

Was jetzt noch schiefgehen kann? Nach dieser Frage schaut Jason Prior einen Moment aus dem Fenster, ehe er antwortet. "Na ja, die Vorbereitungen waren extrem gründlich, keine Frage. Aber wir haben es mit dem britischen Wetter zu tun - und mit Menschen", sagt das Vorstandsmitglied des Management- und Planungskonzerns Aecom. "Ich bleibe paranoid bis zum Ende."

Vor zehn Jahren wurde der Landschaftsarchitekt aufgefordert, sich am Wettbewerb für den Masterplan des Olympiageländes zu beteiligen. Die darauffolgenden sechs Monate verbrachten Prior und sein Team im East End, wanderten am Fluss Lea entlang, sprachen mit ungezählten Anwohnern, besuchten Nachbarschaftsklubs und Sportvereine. "Masterplanning besteht höchstens zur Hälfte aus Stadtplanung und Bauten. Der Rest hat mit den sozioökonomischen Auswirkungen zu tun, schließlich operieren wir am offenen Herzen einer lebendigen Stadt."

Die Präsentation, aus der er als Sieger hervorging, bestritt Prior mit drei Zeichnungen. "Die wichtigste davon war: Wie soll das Viertel in 30, 40 Jahren aussehen?" Das Sponsorendiktat des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) ficht ihn nicht an: "Das ist eine Franchise, die kommt nicht wieder. Aber die Verlagerung der Stadt nach Osten, die bleibt uns."

Wo der Hut brennt

Mehr als zwei Monate ist das olympische Feuer auf der Insel unterwegs gewesen, am Mittwochabend hat es Tottenham erreicht. Im armseligen Nordlondoner Viertel nahmen vergangenen Sommer die Konsumkrawalle ihren Ausgang, damals brannte das Feuer des Protests gegen die Sparpolitik der konservativ-liberalen Regierung lichterloh. Wie schlecht es vielen Ecken des Landes und seiner Hauptstadt geht, haben gerade die jüngsten Wirtschaftsdaten verdeutlicht: Das Land steckt in der längsten Rezession seit fast 40 Jahren, im zweiten Quartal ging das Bruttoinlandsprodukt um 0,7 Prozent zurück, Aussicht auf Besserung gibt es derzeit nicht.

300 Meter unvergesslich

Von der Proteststimmung ist im Multikulti-Viertel der Armen nichts zu spüren. Die kostenlosen Tickets für den "Abend mit aufregender Unterhaltung", wie Werbezettel die Ankunft des Feuers am Alexandra Palace ankündigten, waren binnen weniger Stunden vergeben. In Viererreihen säumten die Menschen die Straße, welche die Bezirksverwaltung extra frisch hatte teeren lassen. Es wäre ja auch zu blöd, wenn einer der Fackelläufer strauchelte.

Jonathan Whittingham hat seine Etappe ganz ohne Stolperer geschafft. Der 28-Jährige engagiert sich ehrenamtlich für Menschen mit körperlicher Behinderung, das hat ihm die Nominierung als Fackelläufer eingebracht. Der Mittwoch war sein großer Tag, jetzt hat er die in der Herstellung 630 Euro teure Fackel zum Sonderpreis von 255 Euro erworben und lässt sich mit begeisterten Fans fotografieren. "Du darfst alle hübschen Mädchen in den Arm nehmen", ruft ein Zuschauer, und Whittingham lächelt ein bisschen verlegen. 300 Meter lang war seine Strecke nur, aber dieser Tag wird ihm immer unvergesslich bleiben. Denn er war dabei. (Sebastian Borger aus London, DER STANDARD, 27.7.2012)