René Redzepi vor dem Claridge's in London, wo er während der Spiele ein Pop-up-Restaurant bekochen wird.

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STANDARD: Warum macht das Noma gerade in einer alten Hoteltante wie Claridge's ein Pop-up-Restaurant auf?

René Redzepi: Um ehrlich zu sein, ich hatte keinen Schimmer, dass es als die große alte Dame unter den Londoner Hotels gilt. Die Leute da sind einfach extrem motiviert, hilfreich und haben es uns in jeder Hinsicht schwergemacht, ihrer Idee nicht zuzustimmen.

STANDARD: Klar, für Claridge's ist es gut, wenn sie plötzlich das Noma unter ihrem Dach haben - ist es auch gut für Noma?

Redzepi: Na ja, für uns ist das eine Gelegenheit, die Fühler in eine der aufregendsten Städte der Welt auszustrecken. Wenn die einem den roten Teppich auslegen, sagt man nicht "Thanks, but no thanks", oder? Und: Sie zahlen gut. Für eine kleine Klitsche wie das Noma ist das nicht unwichtig. Entscheidend war aber, dass es zu den Spielen stattfindet. Es heißt ja nicht zufällig: Dabei sein ist alles. Und wir sind dabei!

STANDARD: Werden Sie Zeit haben, in die Stadien zu gehen?

Redzepi: Auf jeden Fall, das ist der Sinn des Ganzen!

STANDARD: Sind Sie Sportfan? Welche Athleten werden Sie anfeuern?

Redzepi: Puh, da habe ich echt keine Ahnung. Für Sportschauen habe ich sonst keine Zeit. Sie erreichen mich auf dem Rückweg von einem Bauern, der ganz fantastische Erbsen anbaut. Und wenn ich mich nicht mit Essen beschäftige, bin ich zu Hause und wechsle meinem Baby die Windeln. Aber mein Traum ist das 100-Meter-Finale, von jeher. Wie diese Jungs abgehen, das ist nicht von dieser Welt.

STANDARD: Sie werden im großen Ballsaal von Claridge's servieren, jeden Abend für 150 Leute, in einem Ambiente mit schwerem Brokat, Kristalllustern und allem, was dazugehört. Wie passt das zum Stil von Noma?

Redzepi: Sie haben recht, das Noma ist in einem bescheidenen Bau untergebracht, der früher mal als Lager diente. Wir haben gerade 60 Sitzplätze.

STANDARD: Dann wäre die Parkgarage des Claridge's vielleicht die bessere Location gewesen?

Redzepi: (lacht) Wir dachten auch an so etwas Ähnliches! Wir haben die gefragt, ob sie wissen, worauf sie sich einlassen: "Passt auf, wir servieren den Gästen auch mal Ameisen!" Aber die fanden das cool, gar nicht so steif, wie man sich einen Luxusschuppen vorstellt. Schlussendlich aber war mir der konkrete Ort nicht so wichtig: Es geht bei unserem Essen auch um Logistik - ich brauche eine Küche in der Nähe!

STANDARD: Wie wird das gehen? Kocht ihr aus der Hotelküche, wo gleichzeitig die Clubsandwiches für den Zimmerservice gebraten werden?

Redzepi: Nicht ganz. Es gibt eine Bankettküche beim Ballsaal, die für unsere Zwecke adaptiert wird.

STANDARD: Und wie steht es mit den Grundprodukten? Noma steht doch für eine streng skandinavische Küche?

Redzepi: Na ja. Wir sprechen von nordischen Zutaten. Aber natürlich ist lokale Herkunft ein zentraler Angelpunkt unserer Idee vom guten Essen. Deshalb werden die Zutaten für London ausnahmslos von den britischen Inseln stammen. Die Natur bietet hier ähnliche - nordische - Bedingungen wie in Skandinavien. Bloß Elch wird es im Londoner Menü nicht geben.

STANDARD: Wird es in London die authentische Noma-Erfahrung geben - oder wird es eher wie ein Kochfestival, wo die örtliche Mannschaft nach Ihren Anleitungen das Beste gibt?

Redzepi: No way! Wir reisen mit der Mannschaft an, inklusive Sommelier und allen! Das wird unserem Standard entsprechen. Klar - das echte Noma gibt es nur in Kopenhagen, aber London wird eine authentische Idee von dem vermitteln, was bei uns abgeht. Es war ja verrückt, was sich auf den Reservierungs-Hotlines abgespielt hat. Binnen Tagen hatte Claridge's 40.000 Reservierungsanfragen.

STANDARD: Dabei sein ist alles?

Redzepi: Na ja, das war schon jenseits - bin ich Madonna oder was? Ich freue mich über jeden, dem ich unsere Vorstellung vom guten Essen darbringen kann. Jeder, der Spaß daran hat, und dem es das viele Geld wert ist, sollte das auch können. Nur - unser Essen ist so aufwändig, dass wir nur für wenige kochen können.

STANDARD: Geht es bei Pop-up-Restaurants nur um den Spaß an der Freude, die spezielle Location, die Kombination aus Zeit und Ort - oder kann bei solch improvisierten Aktionen auch wahrhaftig gutes Essen geboten werden?

Redzepi: Ach, das darf man nicht so eng sehen. Ich war unlängst bei einem Pop-up der "Young Turks" in London. Das war toll, die gehen sehr intuitiv, sehr roh und ehrlich ran. Solche Momente vergisst man nicht. Spontaneität, Emotion, das Engagement der Teilnehmer - das ist doch mindestens so viel wert wie ein perfekt inszeniertes Gericht, also für mich zumindest. Aber im Claridge's wird es natürlich auch ganz stark um Perfektion gehen, wir haben da sicher keine Ausreden.

STANDARD: Und wie sieht es in Dänemark aus? Wirkt sich die nordische "Food Revolution" auch auf die Bevölkerung aus? Was essen die Dänen heute - Wildgemüse und Krustentiere oder Schweinskotelett und Kartoffeln wie je?

Redzepi: Die Masse ist bei Schwein und Kartoffeln geblieben, ganz klar. Aber es wäre vermessen, die Tradition von Generationen von einem Tag auf den anderen über den Haufen zu werden. Es hat sich viel getan. Im Frühling gibt's plötzlich Bärlauch in den Supermärkten - das wäre vor kurzem noch unvorstellbar gewesen. Und die Restaurantkultur verändert sich massiv, nicht nur in den Städten.

STANDARD: Sie gelten als eine der einflussreichsten Persönlichkeiten weltweit, waren auf dem Cover des "Time Magazine" - aber bis vor kurzem war Skandinavien noch eine Terra incognita des guten Essens. Wie habt ihr euch so neu erfunden?

Redzepi: Ja da ist einiges passiert. Plötzlich haben die Dänen das gute Kochen gelernt. Aber es geht auch um diese wunderbare Selbstsicherheit, die wir skandinavischen Köche, Kellner und Sommeliers plötzlich für uns entdecken dürfen. Es ist viel leichter, einen guten Job zu machen, wenn alle begeistert sind! Für uns wurde mit diesem Boom die Tür zu einer Welt aufgestoßen, von der wir nie zu träumen gewagt hätten. Dass unsere Fähigkeiten und Produkte gut genug sind, um international zu bestehen, hatten wir nicht erwartet. Aber darauf können wir uns nicht ausruhen, solche Trends gehen schnell vorbei. Unser Atout ist diese neue Generation von Köchen, die verstanden haben, dass es um mehr geht, als die neuesten Techniken draufzuhaben. Die haben kapiert, dass Essen ganz tief in die Kultur der Gesellschaft eingebettet ist und daraus schöpfen kann und muss. Deshalb konzentrieren wir uns auf die Forschung, versuchen neues Wissen zu generieren, um diese Position zu festigen. In einem so spezialisierten Bereich wie dem feinen Essen geht das nicht ohne Anfeindungen ab - aber das ist der Preis, wenn man auch morgen noch mitspielen will: Man muss etwas wagen.

STANDARD: Noma wird angefeindet - wie das?

Redzepi: Ach klar, es gibt immer Leute, die dagegen sind, etwas Neues auszuprobieren. Wir experimentieren gerade mit einem Lebensmittel, das nachhaltig und ernährungsphysiologisch wertvoll und für Millionen Menschen eine Delikatesse ist - in unserem Kulturkreis aber mit einem Ekel-Tabu belegt ist: Insekten. Das geht natürlich nicht ohne Polemik ab. Viele sagen, dass diese Nobelköche vom Noma jetzt total übergeschnappt seien, dass jetzt einmal Schluss sein müsse. Diese selbstgerechte Überheblichkeit ist leider ein skandinavisches Phänomen. Als ob Millionen Menschen Insekten nur deshalb essen würden, weil sie leider nicht so klug und toll sind wie wir. Absurd. Wir alle lieben Bienen-Kotze und schmieren sie uns mit Genuss auf den Toast, aber bei Ameisen, die auf richtig wunderbare Weise nach Lemongrass schmecken, geht plötzlich das Abendland unter. Dabei gibt es diese Ameisen überall, sie werden nach Kräften vertilgt, wenn sie es in unsere Wohnungen schaffen.

STANDARD: Servieren Sie tatsächlich Gerichte auf Insektenbasis?

Redzepi: Noch nicht, das ist ein Forschungsprojekt, in das wir seit eineinhalb Jahren viel Zeit investieren. Aber da wird viel Spannendes rauskommen. Ein weiteres Thema sind fermentierte, gereifte Heuschrecken. Wir experimentieren mit einer Sauce, das daraus gewonnen wird und auf faszinierende Weise an Sojasauce, an Bitterschokolade, aber auch an mexikanische Mole erinnert. Klar klingt das erstmal extrem - Heuschreckensaft, yuck! Aber wenn Sie das Ergebnis kosten, nachdem es ordentlich fermentiert und gereift ist: ein Geschmack für die Ewigkeit! Darauf will ich als Koch nicht verzichten müssen, noch dazu, wo aus ethischen Gesichtspunkten alles dafür spricht!

STANDARD: In absehbarer Zeit wird das ein Thema für die Noma-Speisekarte?

Redzepi: Das will ich doch hoffen. Wie sagt der Olympionike: Dranbleiben ist alles!

(Severin Corti, Rondo, DER STANDARD, 27.7.2012)