Alle sind dafür, dass in den Städten weniger Autos verkehren. Aber, wie die Aufregung um die Wiener Parkpickerln und die Grazer Umweltzone zeigt, bei der Umsetzung hapert's. Geht das überhaupt, die Autos zurückdrängen, ohne die Bürger zu verärgern? Autos raus, Fahrräder rein? Utopie oder realistische Alternative? Wer nach Amsterdam fährt und sich dort umsieht, macht die Erfahrung: Es geht.

Amsterdam ist die Stadt der "Fietser", wie die Radfahrer auf Holländisch genannt werden. Sie sind überall. Gleich beim Bahnhof steht ein Riesenparkhaus für Tausende von Rädern. Für die Pendler. Alle Straßen haben komfortable Radwege. Ein Leihrad, und zwar ein sogenanntes Hollandrad ohne Gangschaltung, kann man an jeder Ecke für wenig Geld mieten. Der Fußgänger merkt schnell, dass hier die Radler die Könige sind und die Autofahrer die Bettler.

Wer ein Taxi nimmt, muss große Umwege in Kauf nehmen, denn viele Straßen und Brücken sind für Autos gesperrt. Parken ist sündteuer. Eine Stunde kostet fünf Euro. Auf einen Anrainerparkplatz wartet man Jahre.

Viele Amsterdamer verzichten denn auch überhaupt auf ein Auto oder erwägen, eines Tages auf ein Elektroauto umzusteigen. Die Stadt will bis 2040 alle Benzinautos los sein und fördert großzügig die Elektroautos. Jetzt schon gibt es 1000 öffentliche Elektrotankstellen, laden und parken ist für E-Autos gratis. Und den begehrten Anrainerparkplatz bekommt man für ein solches Auto sofort.

Die Anti-Auto-Revolution hat in den Siebzigerjahren begonnen. Die Stadt, die mit ihren vielen Grachten und schmalen alten Gassen tatsächlich für Autos ziemlich ungeeignet ist, drohte damals, im Autoverkehr zu ersticken. Sukzessive wurden Maßnahmen getroffen, die das Radfahren attraktiver und das Autofahren unattraktiver machen sollten.

Seither hat man sich daran gewöhnt, dass Autos praktisch nur auf den Hauptverkehrsstraßen fahren können. Die Folgen merkt der Besucher gleich. Es ist ungewohnt ruhig. Der übliche Großstadt-Verkehrslärm ist auf ein Minimum reduziert. Die Hektik fehlt. Die Atmosphäre ist spürbar entspannter und gelassener. Und natürlich ist auch die Luft besser.

Ob sich das Amsterdamer Beispiel auf Wien übertragen lässt? Wohl nicht zur Gänze. Amsterdam ist, wie das ganze Land, brettleben, Steigungen gibt es, anders als in Wien, praktisch nicht. Ideal für Radler. Außerdem ist Amsterdam eine sehr junge Stadt.

Zwar sieht man auch dort vereinzelt Großmütter und Großväter auf Rädern, aber die Mehrheit der Radfahrer ist jung. Wien dagegen ist eine Stadt mit überdurchschnittlich vielen alten Leuten. Sie alle plötzlich zum Umsteigen aufs Fahrrad zu überreden würde wohl die Überzeugungskraft auch einer grün angehauchten Stadtverwaltung übersteigen.

Trotzdem: Die "Fietser" haben was. Ein gelegentlicher Ausflug nach Amsterdam würde den erbitterten Wiener Anti-Parkpickerl-Kreuzzüglern durchaus nicht schaden. (Barbara Coudenhove-Kalergi, DER STANDARD, 26.7.2012)