Gütertransport im Mikrometer-Breich: Im Inneren des Myzel-bildenden Pseudopilzes Pythium ultimum bewegen sich (blau dargestellt) mit Phenanthren angereicherte Bläschen.

Foto: Susan Foß/UFZ

Leipzig - Auf die Frage nach dem größten Lebewesen der Erde werden die meisten wohl mit "Blauwal" antworten. Das hängt aber von der Perspektive ab: Pilze durchziehen das Erdreich mit einem Geflecht aus feinen Fäden. Und diese nur wenige Tausendstel Millimeter dicken Hyphen bilden zusammen ein Netzwerk von gewaltigen Dimensionen. In einem einzigen Gramm Boden finden sich mitunter zwischen 1.000 und 10.000 Meter Pilzfäden. Ein einziges dieser Geflechte kann sich über etliche Quadratkilometer erstrecken.

Unterirdisches Autobahnnetz

Zugleich haben diese eigentlich zum Nährstofftransport dienenden Netzwerke teils überraschende Funktionen, wie das Leipziger Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) berichtet. Zum einen können Bakterien auf den Pilzfäden wie auf Autobahnen durch das Labyrinth der Bodenporen reisen. Dazu bewegen sie sich an der Oberfläche der Hyphen fort und überwinden auf diese Weise problemlos die Luftbarrieren zwischen zwei wassergefüllten Poren - nur in solchen können sie dauerhaft existieren. Zum anderen transportieren die Pilzgeflechte auch Schadstoffe, die im Boden sonst kaum beweglich sind, wie UFZ-Mitarbeiter gemeinsam mit britischen Kollegen von der Lancaster University herausgefunden haben.

Damit könnten diese "lebenden Pipelines" einen Beitrag zur Sanierung belasteter Böden leisten, schreiben die Forscher um Lukas Y. Wick im Fachjournal "Environmental Science & Technology". Die Crux des Ganzen ist, die in den Wasser-Poren lebenden Bakterien, die Schadstoffe abbauen können, und die Schadstoffe selbst zusammenzubringen - letztere lagern sich nämlich eher in luftgefüllten Poren an.

Das Experiment

Zur experimentellen Überprüfung siedelten die Forscher einen sogenannten Pseudopilz namens Pythium ultimum, der im Boden weit verbreitet ist, auf einer mit Nährstoffquellen versehenen "Teststrecke" an. Zudem trugen sie auf der mehrere Zentimeter langen Teststrecke einen polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoff namens Phenanthren auf. Und die Verteilung des Kohlenwasserstoffs änderte sich im Verlauf des Experiments dramatisch: Innerhalb weniger Stunden wanderte er von einem Ende der Versuchsanordnung zum anderen - zehn- bis hundertmal schneller, als er das durch einfache Diffusion hätte schaffen können. Und er überwand dabei ohne Schwierigkeiten die Luftspalten, was ihm auf der gleichen Strecke ohne Pilzgeflecht nicht gelang. Wick dazu: "Pro Stunde kann dabei eine einzelne Hyphe bis zum 600-fachen Gewicht eines einzelnen Bakteriums transportieren."

Mit einem Spezialmikroskop ließ sich beobachten, wie dieser Transport vor sich geht: Demnach wandert der Schadstoff durch die Zellwand ins Innere der Hyphen. Dort wird er in kleinen Bläschen eingeschlossen, die Pythium ultimum dann aktiv durch sein weitläufiges Netzwerk pumpt. Auf diese Weise mobilisiert die Pilz-Pipeline nicht nur Phenanthren, sondern auch andere schlecht wasserlösliche und damit sonst eher unbewegliche Substanzen. Verwandte Stoffe führten zu ähnlichen Ergebnissen, wobei der Transport von kleinen Molekülen allerdings besser läuft als der von großen.

Die Forscher hoffen, dass sich der Effekt künftig bei der Sanierung von belasteten Böden nutzen lässt. Ein gezielter Einsatz von Pilzgeflechten könnte den Abbau von wasserunlöslichen Schadstoffen beschleunigen - vorausgesetzt, es werden die richtigen Pilze und Bakterien kombiniert, wie Wick betont. Deshalb fahnden die UFZ-Forscher nun nach den passenden Partnern für ihr mikrobielles Schadstoffbeseitiger-Team. (red, derStandard.at, 27. 7. 2012)