Die Huldigungsstätte für den berühmtesten Wahlkärntner erstrahlt im Sonnenlicht.

Foto: Thomas Rottenberg

Neben kleinen Gedächtnissteinen finden sich auch allerhand weitere Andenken.

Foto: Thomas Rottenberg

Ausgeleuchtet wird der Platz von Dutzenden Kerzen, die Tag und Nacht brennen.

Foto: Thomas Rottenberg

Noch immer ranken sich zahlreiche Mythen darum, was in der Nacht des 11. Oktober 2008 hier passiert war.

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Der bizarrste Spruch lautet: "Du wurdest beseitigt, du tapferer Streiter - ruh' Dich nun aus, wir kämpfen für Dich weiter."

Foto: Thomas Rottenberg

Und wer sich die Stätte genauer anschauen will, kann das Auto in unmittelbarer Nähe abstellen.

Foto: Thomas Rottenberg

"Entschuldige, aber: Wo war da grad eine Kurve?" M. übertrieb natürlich. Darum schickte er eine Relativierung nach: "Also ich meine: eine Kurve, aus der man rausfliegen kann." Pause. "Wenn man nicht blunzenfett und bummzu ist - und mit Schallgeschwindigkeit daherkommt." Ich bin ein schlechter Autofahrer, darum sage ich in solchen Fällen als Beifahrer schon gar nix. Aber aus dem Fonds kam eine andere Stimme: "Na, ganz offensichtlich geht es doch. Aber ich wüsste auch nicht, wie." Pause. "Aber er schaffte eben sogar im Abgang, was unsereinem unmöglich ist."

Ich arbeite oft mit Kärntnern zusammen und bin immer wieder hier. Darum weiß ich: Fast jeder Kärntner hätte uns jetzt darauf hingewiesen, dass immer noch viele Kärntner glauben, dass genau dies beweise, dass hier böse Mächte am Werk waren - und sind: Schließlich werde die Wahrheit nach wie vor unterdrückt. Sonst wäre Jörg Haider noch am Leben. In Kärnten wäre die Sonne nie vom Himmel gefallen. Und das, was genau jetzt rund um die besten Köpfe des Bundeslandes hochgespielt werde, wäre dort, wo es hingehört: an einem Ort, wo kein Kärntner, der einen Funken Ehrgefühl hat, je hinschaut. Oder gar hingreift.

Kerzen bei Tag und Nacht

Das ändert nichts daran, dass es bald vier Jahre her ist, dass der größte Wahlkärntner aller Zeiten hier, in dieser 70-km/h-Kurve in Köttmansdorf bei Klagenfurt, tödlich verunglückte: Die Stelle, an der Jörg Haiders Wagen den elchlosen Elchtest nicht bestand, ist heute gut ausgeleuchtet. Vermutlich besser als in jener folgenschweren Nacht des 11. Oktober 2008. Seit damals brennen hier Kerzen. Bei Tag und Nacht. Leute, die öfter vorbeikommen als ich, sagen, dass der Tag, an dem hier weniger als eine Busladung Pilger haltmacht, noch lange nicht gekommen ist.

Die Jörg-Haider-Gedächtniskurve ist eine Pilgerstätte. Sie ist der Père-Lachaise Kärntens. Doch hier wird im Gegensatz zum berühmten Pariser Friedhof, wo unter anderen Jim Morrison begraben ist, nur eines Einzigen gedacht. Und statt Sätzen auf dem Grab wie "Sauf aus Jim, wir gehen" oder Blumen bei Chopin, Piaf oder Marceau sind es Wahlkampf-Teddybären, alte (Votiv-)Bilder und bestickte Zierkissen, die hier zurückbleiben. Und während im Père-Lachaise den Verteidigern der Pariser Kommune von 1871 gehuldigt wird, ist in der Gedächtniskurve Jörg Haiders Kampf nicht zu Ende gegangen: "Du wurdest beseitigt, du tapferer Streiter - ruh' Dich nun aus, wir kämpfen für Dich weiter" lautete der bizarrste Spruch, den ich im Laufe etlicher Stopps je las.

Ein Ort der Mythen

In Wien tippten sich Bekannte an die Stirn, wenn ich von der Kurve, den Devotionalien oder den Trauertouristen erzählte. Genauer: Man tippte mir an die Stirn. Kärnten sei zwar anders - aber so gaga könne es einfach nicht sein. Auch die Geschichte vom deutschen TV-Korrespondenten, der kurz nach dem Unfall nach seinem Aufsager nur unter Polizeischutz diese Stätte heil verlassen konnte, hätte ich ja nicht selbst gesehen, sondern nur erzählt bekommen: "Nüchtern betrachtet", soll der Kollege in die Kamera gesagt haben, "handelt es sich hier um einen stinknormalen Alko-Raser-Unfall."

Aber es gibt auch andere Mythen, die sich um diese Kurve ranken. Doch dem Wesen des Mythos entspricht es, nicht festmachbar oder belegbar zu sein - doch vor Ort und in den Gasthäusern der Umgebung werden sie gerne erzählt - und geglaubt.

Mit eigenem Parkplatz

Tatsächlich lässt sich keine Geschichte, die bis heute um diese Kurve spukt, festmachen. Und so bin ich dazu übergegangen, jedem, der nach Klagenfurt fährt, einen Besuch der Gedächtniskurve anzuraten. Und es braucht sich niemand zu sorgen, hier nicht sicher anhalten zu können, denn an der Straße gibt es eine Parkbucht. Mit Schild "für Gedenkstätte".

In der Regel werde ich zunächst ausgelacht. Doch dann kommen Mails und Fotos von leicht fassungslosen Bekannten: Ich hätte gelogen. Was ich erzählt hätte, sei noch untertrieben gewesen.

Also sagte ich nichts, als wir vergangene Woche in der Nacht in Klagenfurt von der Autobahn abfuhren. Ich wusste, wo wir gleich vorbeikommen würden. Und wartete einfach ab. "Was is'n das?", fragte M., als schräg vor uns das leise Flackern von ein paar Dutzend Kerzen aus der Dunkelheit auftauchte. "Die Jörg-Haider-Gedächtniskurve", sagte ich. M. bremste ab und fuhr fast im Schritttempo an der gespenstischen Stelle vorbei. Meine Mitreisenden starrten. Fassungslos. Erst hundert Meter weiter fand M. seine Stimme wieder: "Entschuldige, aber: Wo war da grad eine Kurve?" (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 30.7.2012)