Samson hat grünen Mageninhalt am Kopf.

Foto: derStandard.at/Sophie Niedenzu

Wolfgang A. Schuhmayer mit seinen Tieren.

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Samson ist grün am Kopf. In seiner dichten braunen Mähne klebt der Mageninhalt von Oskar, dem Leittier unter den Alpakas am Brigindohof in Großmotten in Niederösterreich. "Alpakas spucken sehr selten, die beiden dürften sich wohl zu nahe gekommen sein", sagt Wolfgang A. Schuhmayer, Gründer des Instituts für Alpaca-Therapie und Forschung. Er trägt eine schlichte grüne Hose, ein passendes Poloshirt mit einer grünen Weste und einen Hut mit einem Band, das von den Semiolen stammt, einem indigenen Volk in Nordamerika. Ein Symbol dafür, dass er ihre tiefe Verbundenheit mit der Natur schätzt. "Das Wichtigste bei meiner Arbeit ist die Demut vor der Natur. Das Erste, was ich in der Früh mache, ist, dass ich den Alpakas diene, indem ich ihren Mistplatz säubere", sagt er.

Training für Therapiezwecke

Vor einem Jahr hat der Mediziner beschlossen, tiergestützte Therapie anzubieten. Vier Alpakas tummeln sich daher seit ein paar Wochen auf der Weide hinter dem flachen weißen Haus. Sie werden gerade für Therapiezwecke trainiert. Positive Erfahrungen mit tiergestützter Therapie gibt es bei Menschen mit Depressionen, Autismus, ADHS, Downsyndrom und Burn-out.

Letzteres hat der Institutsleiter am eigenen Leib erlebt. Nach einigen Jahren in der Pharmaindustrie und der Gesundheitskommunikation sei er chronisch erschöpft gewesen. Für ihn der Punkt, an seinem Leben etwas zu ändern. Die Alpakas betrachtet er daher auch als ein Symbol für die eigene Befreiung. Etwas, das auch seine Frau Susanne bemerkt hat: "Er ist jetzt viel ruhiger, der Stress, unter dem er gestanden ist, ist weg." Zur Ruhe kommen, über elementare Dinge des Lebens nachdenken, genügsam leben. Schuhmayer hat drei Viertel seiner Kleidung gespendet, restauriert das Haus selbst, bastelt etwa aus einer alten Singer-Nähmaschine ein Möbelstück. Am Begriff "Aussteiger" sei schon etwas dran, sagt er.

Mehr als eine Wollfabrik

Dass die berufliche Umorientierung ausgerechnet zur tiergestützten Therapie führt, ist Zufall. "In einem Biokräutergeschäft im Dorf hat mir die Verkäuferin gesagt: Kauf dir doch Alpakas, ich habe gerade im Fernsehen eine Dokumentation über tiergestützte Therapie mit ihnen gesehen. Und ich habe in einer ersten Reaktion gesagt: Was soll ich mit einer Wollfabrik?", sagt Schuhmayer. Wissenschaftlich habe er sich zu dieser Zeit intensiv mit ADHS bei Kindern befasst - zusätzlich habe ihn eine Bekannte darauf aufmerksam gemacht, dass Kinder mit Downsyndrom am Land unzureichend gefördert würden. Alles zusammen habe die Idee eines Alpaka-Hofes für tiergestützte Therapie reifen lassen. Mittlerweile kann Schuhmayer auch etwas mit der Alpaka-Wolle anfangen: "Die Pullover sind mir viel zu heiß, aber die Alpaka-Socken, die sind schon angenehm", sagt er. 

Nonverbale Kommunikation im Mittelpunkt 

Samson und Oskar, die beiden Streithähne, sind unterdessen am Zaun festgebunden. Ein Sicherheitsabstand trennt sie voneinander. Samson muss der Kopf gewaschen werden. Er wehrt sich gegen den Wasserschlauch, tänzelt, weicht aus, so weit es geht. Wasser mögen Alpakas gar nicht. Und am Kopf berührt werden wollen sie noch weniger. "Das ist das Erste, das wir unseren Besuchern sagen: Fasst sie ja nicht am Kopf an", sagt Schuhmayer.

Das Wasser tropft von Samsons Kopf, grün bleibt er dennoch. Die braune Mähne im Gesicht ist einfach zu dicht. Mittlerweile sind auch die zwei jüngeren Alpakas, Asterix und Carlos, herangekommen. Sie beobachten, schnuppern, stehen ruhig da. Die Reaktionen der Tiere auf die Menschen, die die Koppel betreten, seien für ihn sehr informativ, erzählt Schuhmayer. Da die Tiere hoch sensibel seien, spiegelt sich die Verfassung der Menschen in ihrer Körpersprache. Suchen die Alpakas die Nähe, ist das ein Zeichen für positive Ausstrahlung. Nonverbale Kommunikation ist ein wichtiger Teil der tiergestützten Therapie: "Man muss die Tiere spüren, ihre Reaktionen genau beobachten", sagt Schuhmayer. 

Auf dem Zaun hängt ein Schlauch, mit dem die Alpakas bei Bedarf eingefangen werden, daneben steht der Unterstand mit dem Heu. Am Rande der Weide hat Schuhmayer einen Parcours für das Training aufgebaut, die Tiere sollen im Slalom zwischen den Stangen gehen. Oskar, der Älteste, ist den Parcours erst einmal gegangen. Schuhmayer führt ihn am Seil, wie selbstverständlich und ohne dazu aufgefordert zu werden, geht Oskar neben ihm her. Auch Samson geht den Parcours ab - Asterix und Carlos sind allerdings noch zu jung, um zu Therapietieren trainiert zu werden. 

Tiere schubladisieren nicht

Carlos lässt sich streicheln, kaut ruhig vor sich hin. Schuhmayer hat gerade in einer Weiterbildung gelernt, wie tiergestützte Therapie funktioniert. "Ich habe mit Pferden gearbeitet und habe am Anfang nicht schlecht gestaunt, als wir die Pferde allein mit unserem Kopf lenken mussten", erzählt er. Alpakas sind in seinen Augen die bessere Wahl: Allein wegen ihrer Größe seien sie ungefährlicher als Pferde, gleichzeitig aber sehr nuanciert im Verhalten.

"Tiere schubladisieren nicht, daher stärkt die Begegnung das Selbstbewusstsein von Menschen mit psychischen Belastungserscheinungen", sagt er. Der Therapeut beobachtet den Zugang und knüpft dann dort mit der Behandlung an. Die Gespräche mit den Patienten finden im Besprechungszimmer statt. Dort riecht es nach frisch verlegtem Holz, die Bohrmaschine liegt griffbereit im noch leeren Raum, Antikwachs liegt am Boden. "Das Zimmer muss erst noch entstehen, aber ein Sofa habe ich bereits im Internet gekauft", sagt Schuhmayer. 

Um die Alpakas an die Therapie mit Klienten zu gewöhnen, werden Oskar und Samson regelmäßig zu einem Spaziergang ausgeführt. Gleich hinter der Koppel beginnt ein Feldweg. Samson rupft ab und zu vom Gras, das den Weg säumt, und kaut gemächlich. "Beim Gehen ist es leichter zu reden, Spaziergänge mit den Alpakas werden daher bei Bedarf in die Therapie einbezogen", sagt Schuhmayer. Bei einer Bank wird eine Pause eingelegt, Samson knabbert an einem Baum. Mit leisen Lauten verständigen sich die beiden Alpakas. Schritt für Schritt geht Samson auf Oskar zu. Sie nähern sich einander an. Versöhnlich stecken sie ihre Köpfe zusammen. Nur der grüne Kopf Samsons erinnert noch an den Streit. (Sophie Niedenzu, derStandard.at, 26.7.2012)