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Präsident Mursi inmitten von Militärs, die in Ägypten nach wie vor das Heft in der Hand haben.

Foto: REUTERS/Sherif Abd El Minoem/Egyptian Presidency/Handout

"Die Chance ist da, dass Ägypten nachhaltig demokratisiert wird", meint Andreas Jacobs von der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Foto: Konrad Adenauer-Stiftung (cc) KASonline

Neuer Präsident, neuer Premier, und trotzdem bestimmt der Militärrat das politische Geschehen in Ägypten. Andreas Jacobs verbrachte als Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung mehrere Jahre in Kairo und sieht das Land nach wie vor fest in der Hand der Militärs.

derStandard.at: Nach mehrstufigen Parlamentswahlen und zwei Wahlgängen zur Präsidentschaftswahl ist in Ägypten nach wie das Militär die dominierende Macht. Kann man angesichts dessen von einem demokratischen Ägypten sprechen?

Jacobs: Meiner Einschätzung nach kann man in Ägypten noch nicht von einer Demokratie sprechen. Man sollte nicht vergessen, dass es schon unter Mubarak Wahlen gab. Inzwischen ist es zwar deutlich pluralistischer geworden, aber nach wie vor haben die Militärs das Heft in der Hand und haben in vielen Fällen dafür gesorgt, dass die politische Situation so ist, wie sie sich nun darstellt. Es ist also noch ein weiter Weg, bis Ägypten eine Demokratie ist.

derStandard.at: Haben Sie noch die Hoffnung, dass aus Ägypten ein demokratischer Staat wird?

Jacobs: Ich glaube, man muss solche Prozesse langfristig bewerten. Es ist viel zu früh zu sagen, wohin die Reise wirklich geht. Die Chance ist da, dass sich Ägypten nachhaltig demokratisiert – wir sprechen in diesem Zusammenhang allerdings von einem Zeithorizont von Jahrzehnten. Mich wundert, dass wir in Ägypten andere Maßstäbe anlegen als in anderen Teilen der Welt, wo es ebenfalls Jahrzehnte gedauert hat.

derStandard.at: Mit Ahmed Shafik hat es ein Vertreter des alten Regimes in die Stichwahl um die Präsidentschaft geschafft. Woher kommt diese Unterstützung für ehemalige Vertreter der Mubarak-Herrschaft?

Jacobs: Das alte Regime hat nach wie vor sehr viele Unterstützer. Man hat sich zwar kritisch mit vielen Aspekten des Mubarak-Regimes auseinandergesetzt, aber in vielen Teilen der Bevölkerung genießen Teile der alten Regierung nach wie vor sehr viel Unterstützung. Als es bei der Präsidentschaftswahl schließlich auf die Polarisierung zwischen Muslimbrüdern und Shafik hinauslief, haben auch viele ehemalige Kritiker aus dem liberalen und säkularen Lager gesagt: Lieber ein Vertreter des alten Regimes als ein Muslimbruder. Insofern waren die Stimmen für Shafik nicht wirklich erstaunlich.

Hätte man nicht nur in Kairo Menschen nach ihrer Meinung gefragt, sondern zum Beispiel auch in Oberägypten, wäre das auch vor den Wahlen deutlich geworden. Wer in Kairo mit den städtischen Eliten spricht, bekommt oft ein anderes Bild über die Stimmungslage, als wenn man in die Vororte oder aufs Land fährt.

derStandard.at: Zurzeit ist die Entscheidung des Verfassungsgerichts, das Parlament aufzulösen, ein dominierendes Thema der Berichterstattung. Kritiker sprachen damals von einem "kalten Putsch". War es das?

Jacobs: Durch dieses Urteil ist zumindest deutlich geworden, wer in Ägypten politisch das Sagen hat – nämlich das Militär. Gerüchte hat es schon seit Monaten gegeben, dass dieses Parlament aufgrund formaler Einwände abgesetzt werden würde. Insofern kam das Urteil nicht wirklich überraschend.

Es gab auch von Anfang an viele, die gesagt haben, diese Entscheidung sei ein richtiger und wichtiger Schritt. Nicht nur aus dem Lager der Anhänger des alten Regimes, sondern auch bei den Liberalen und Säkularen, für die das Parlament nicht dem ägyptischen Wählerwillen entsprach. Daher wäre ich etwas vorsichtig, von einem Putsch zu sprechen. Es ist in jedem Fall keine demokratische Entwicklung, die wir sehen.

derStandard.at: Welche Politik verfolgt der regierende Militärrat?

Jacobs: Man muss sich klar sein, dass sehr viele Menschen im Land unmittelbar von den Sicherheitskräften abhängen oder für sie arbeiten. Viele ehemalige Militärs sind mit Posten versorgt worden – als Hotel- oder Museumsdirektoren. Strukturell ist das Land ein Militärstaat – das Militär hat fast überall geschäftliche Interessen: bei Autobahnen, im Immobilienbereich, im Tourismus.

Meiner Einschätzung nach hat das Militär nicht unbedingt ein Interesse, an der Macht zu bleiben, was das politische Tagesgeschäft betrifft. Die Militärführung ist der Ansicht, dass sie mit Mursi ein kalkulierbares Risiko hat. Man will die Muslimbrüder im politischen Tagesgeschäft scheitern lassen, sie dadurch entzaubern und im Hintergrund die eigenen wirtschaftlichen Interessen wahren.

derStandard.at: Die umstrittenen Auflösung des Parlaments basiert auf einem Gerichtsentscheid. Wie unabhängig sind Ägyptens Richter?

Jacobs: Ägypten ist traditionell stolz auf seine – im regionalen Vergleich – unabhängige und professionelle Justiz. Ich habe trotzdem den Eindruck, dass es in vielen Fällen eine Allianz zwischen Justiz und Militärführung und den alten Eliten sowie personelle Überschneidungen zwischen diesen Gruppen gibt. Der Vorsitzende des Verfassungsgerichts ist nicht nur Vorsitzender der Wahlkommission, sondern auch ein ehemaliger Geheimdienst- und Militärrichter. Hier sind vielfältige Überschneidungen vorhanden, insofern gibt es eine starke Interessenkohärenz zwischen Justiz und Militär.

derStandard.at: Im Westen herrscht nach dem guten Abschneiden der Muslimbrüder und salafistischer Parteien Sorge, aus Ägypten könnte ein islamischer Staat werden. Sind die Befürchtungen berechtigt?

Jacobs: Ich glaube, es ist noch zu früh, darüber ein abschließendes Urteil zu fällen. Wir können die islamistischen Akteure nur nach ihrem Handeln beurteilen. Wenn man sich die Äußerungen und Parteiprogramme der Muslimbrüder und der Salafisten ansieht, dann sieht das auf den ersten Blick sehr gemäßigt aus. Trotzdem gibt es immer wieder Äußerungen – vor allem der Salafisten -, die in eine andere Richtung weisen. Man befürchtet in Ägypten vor allem Einschränkungen bei Bekleidung und Alkohol, die den Tourismus treffen könnten. Viele Ägypter sehen es als Alarmzeichen, dass sich Mursi zu diesen Themen in Interviews nur sehr vage geäußert hat.

derStandard.at: Die wirtschaftliche Situation hat sich drastisch verschlechtert, das Wirtschaftswachstum ist eingebrochen, die Währungsreserven haben sich halbiert. Wie groß sind Ägyptens wirtschaftliche Probleme?

Jacobs: Die Zahlen, die international verfügbar sind, zeichnen nur einen kleinen Teil des Bildes, weil Ägypten stark von einer informellen Wirtschaft geprägt ist. In Wahrheit ist die Situation teilweise sogar dramatischer. Die Auswirkungen des wirtschaftlichen Einbruchs sind massiv. Das ist tagtäglich zu sehen: Es ist immer schwieriger, Benzin und Diesel zu bekommen, teilweise klappt die Versorgung mit Brot nicht, die Infrastruktur verschlechtert sich weiter und die Menschen werden zunehmend unzufrieden, was zahlreiche Streiks zur Folge hat. Die wirtschaftliche Lage ist sehr schlecht, und das wird die Hauptherausforderung für den neuen Präsidenten werden.

derStandard.at: Im Dezember 2011 mussten Sie das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kairo überraschend schließen und es wurde Anklage gegen Sie und Ihre Mitarbeiter erhoben. Warum wurde ausgerechnet diese Einrichtung geschlossen?

Jacobs: Ich habe bis heute keine plausible Erklärung bekommen, zumal andere deutsche Stiftungen in Kairo auf einer vergleichbaren rechtlichen Grundlage arbeiten wie wir. Wir können nur vermuten, dass wir aufgrund bestimmter Veranstaltungen oder auch durch Zufall über eine Wahrnehmungsschwelle der Machthaber geraten sind und man sich deswegen die Konrad-Adenauer-Stiftung herausgesucht hat. Es gab auch Stimmen, die meinten, dass man die Stiftung der Regierungspartei in Deutschland treffen wollte. Andere wiederum meinten, wir wären mit unserem Engagement im Bereich Vergangenheitsbewältigung oder christliche Minderheit aufgefallen. Letztlich sind das aber alles Spekulationen, plausible Erklärungen für diesen Schritt der Behörden gibt es nicht.

derStandard.at: Neben der Konrad-Adenauer-Stiftung traf die Schließung durch Behörden auch noch vier US-amerikanische NGOs. Welches politische Kalkül steckte dahinter?

Jacobs: Das politische Kalkül hinter diesen Vorgängen war es, ausländische Akteure, die zivilgesellschaftliche Organisationen und politische Aktivisten im Land gefördert haben, mundtot zu machen. Und das ist letztlich auch gelungen. Man hat sich die großen amerikanischen Stiftungen und Organisationen herausgesucht. Damit die Schließung nicht nach einer antiamerikanischen Aktion aussah, hat man eben eine europäische Organisation hinzugenommen. Letztlich ging es darum, Mittelzuflüsse an zivilgesellschaftliche Organisationen nach Ägypten zu unterbinden und ein klares Signal gegenüber ausländischen Gruppen zu senden. (Stefan Binder, derStandard.at, 26.7.2012)