"Ob Gesetze die sozialen Fakten ändern, ist mehr als fraglich."

Foto: Mariam Irene Tazi-Preve

Es ist nicht lange her, dass Rechte und Pflichten in der Familie nach Geschlecht verteilt wurden. Bis 1975 hatte der Vater gesetzliche wie finanzielle Verfügungsgewalt über Frau und Kind. Im Falle einer Scheidung durften die Mütter zwar meist weiterhin die Betreuungsarbeit leisten, ob aber zum Beispiel ein Urlaub mit dem Kind möglich war, hing vom guten Willen des Vaters ab. Denn über einen Pass für das Kind entschied allein er.

Mit der Familienrechtsreform Mitte der 70er Jahre wurde eine partnerschaftliche Teilung der Rechte und Pflichten verankert. Seither soll die Obsorge im Falle einer Scheidung die Person bekommen, bei der das Kind am besten aufgehoben ist und die die meiste Arbeit für das Kind leistet. Laut Mariam Irene Tazi-Preve, Politikwissenschaftlerin und Projektleiterin der Studie "Väter im Abseits", passt das nur einer kleinen Gruppe von Vätern nicht. Warum sie dennoch medial so viel Gehör bekommen und ob Gesetze aktive Vaterschaft schaffen, wollte Beate Hausbichler von ihr wissen.

dieStandard.at: Sie haben viel Väterforschung betrieben. Seit wann haben wir es mit der Forderung nach mehr Väterrechten zu tun? 

Tazi-Preve: Schon seit Anfang der 90er. Also nur 15 Jahre nach der Familienrechtsreform, mit der die Gleichstellung im Familienrecht verankert wurde, ist schon eine Gegenbewegung entstanden. Die Männerrechts- oder Väterrechtsbewegung hat sich von der kritischen Männerbewegung abgespaltet. Sie ist radikaler, häufig antifeministisch, ist medial sehr präsent und bringt offenbar jede Justizministerin auf ihre Seite. 

dieStandard.at: Die Forderung der Väterlobby lautet: ein Recht auf Vaterschaft.

Tazi-Preve: Wir wissen von Meinungsumfragen, dass Väter zwar bereit sind, ihren Anteil zu leisten. Doch die Fakten sehen anders aus. Die vielen Tätigkeiten von früh bis spät für das Kind und das gesamte Management - das machen fast immer die Mütter. Es gibt circa zehn, manche sprechen von bis zu 20 Prozent "neue Väter", die sich diese vielen Arbeiten mit der Mutter teilen. Dann gibt es auch noch die wohlgesonnenen Väter, die trotz Vollzeittätigkeit ihre Kinder noch im Kopf haben.

Und dann gibt es die, die alles ganz klassisch der Mutter überlassen - was aber politisch und sozial nicht mehr als korrekt angesehen wird. Väter kommen schon unter Zugzwang, anders zu agieren - die Norm hat sich also verändert. Doch das Verhalten kaum. Und dieser Anteil von "neuen Vätern" ist im Übrigen nicht so neu, die hat es schon immer gegeben.

Trotz dieser neuen Norm definieren sich Männer noch immer über die Erwerbstätigkeit. Dadurch geraten sie in eine ambivalente Rolle: Denn da sind auch die Mütter, die einen aktiven Partner haben wollen, und die Politik, die sagt, geh doch in Väterkarenz. Diese Spannungen lassen sich nicht lösen, solange sich die Arbeitswelt nicht grundsätzlich ändert und reproduktive Arbeit nicht gleich viel Wert wie die Erwerbsarbeit hat.

dieStandard.at: Ein Gesetz zur automatischen gemeinsamen Obsorge bringt uns in Sachen fairere Arbeitsteilung also nicht weiter?

Tazi-Preve: Prinzipiell glaube ich, je mehr Betreuungspersonen ein Kind hat, desto besser. Es soll überhaupt nicht darum gehen, den Vater fernzuhalten. Jemand aus der Männerberatungsstelle meinte etwa, sie raten den Männern immer, sich ein Naheverhältnis zu dem Kind aufzubauen, das ist wichtiger als die rechtliche Schiene. Damit geht auch viel Zeit, Kraft und Geld für Justizstreits drauf und Konflikte verschärfen sich.

Es gibt natürlich Frauen, die die Väter von ihren Kindern fernhalten. Auf der anderen Seite gibt es viele Väter, die sich nicht um ihre Kinder kümmern wollen, und Mütter in dieser speziellen Situation haben überhaupt keine Lobby.

dieStandard.at: Es ist für viele schwer nachzuvollziehen, warum sich frauenpolitische Gruppen wie der Österreichische Frauenring gegen die automatische gemeinsame Obsorge stellen. Denn diese böte doch mehr Chancen auf Väterbeteiligung, was letztlich auch ein feministisches Interesse sei.

Tazi-Preve: Diese Position geht davon aus, dass sich die soziale Wirklichkeit geändert hat. Das ist aber nicht wirklich und grundlegend der Fall. Und ob Gesetze die sozialen Fakten ändern, ist mehr als fraglich.

Es stimmt, die feministische Seite kommt oft als "Wir wollen die Väter abblocken" rüber. Es kommt zu wenig an, dass die Forderung darin besteht, erst eine Wirklichkeit zu schaffen, in der Frauen gleich viel verdienen und wo es eine Kultur des Teilens gibt - dann würde ich sofort Ja zur automatischen gemeinsamen Obsorge sagen.

dieStandard.at: Medial taucht die Väterrechtsdebatte meist in Form von konkreten Beispielen auf und nicht auf Basis von Daten oder Untersuchungen. Bekommt die Debatte so viel Gehör, weil es konkrete Geschichten sind? 

Tazi-Preve: Die entsprechenden Plattformen sind voll von biografischen Geschichten. Es ist auch tatsächlich schlimm, wenn für Väter entwürdigende Besuchsregelungen über Jahre gelten. Die fehlende Zeit mit den Kindern wird dann bisweilen in die überproportionale Präsenz in Plattformen, Foren und Medien investiert.

Ich denke, Eltern, bei denen sich der Streit zuspitzt, müssen mehr unterstützt werden. Mediations- und Therapiekosten sollten in diesen Fällen übernommen werden.

dieStandard.at: Sehen Sie in der Darstellung der Väterschicksale bzw. der Forderungen der Väterlobby Unterschiede zwischen Qualitätsmedien und anderen Medien?

Tazi-Preve: Nein, seltsamerweise nicht. Benachteiligung der Männer ist überall der Tenor, und dass Männer in irgendeiner Weise benachteiligt sein könnten, das regt auf. Auch Frauen - die haben da schnell Empathie. Die Geschichten von Müttern von Kindern dagegen, um die sich der Vater nicht kümmert, fehlen komplett.

dieStandard.at: Das Buch "Väter im Abseits" hat sich mit der Frage beschäftigt, warum Väter nach einer Scheidung den Kontakt zu ihren Kindern verlieren. Was sind die häufigsten Gründe?

Tazi-Preve: Eine frühere Studie zeigte, dass etwa die Hälfte der Väter ein Jahr nach einer Scheidung keinen Kontakt mehr zu den Kindern hat. Die Frage nach dem Warum war unser Ausgangspunkt. Unser interdisziplinäres Team konnte in der Arbeit zu dem Buch vor allem vier Erklärungen herausfiltern. Ein Teil der Väter hat einfach kein Interesse und bleibt weg. Viele Väter vergessen zum Beispiel bei Befragungen, die korrekte Zahl ihrer Kinder anzugeben. Auch Männerberatungsstellen haben berichtet, dass das Ende einer Beziehung häufig auch das Ende des Kontaktes zum Kind bedeutet.

Ein weiterer Grund ist, wenn die Mutter die Vermittlung zwischen Kind und Vater nicht übernimmt und sich Väter eigenständig um den Kontakt kümmern müssen - das schaffen viele nicht. Beispielsweise wenn Kinder im Teenager-Alter sind und an einem Wochenende dieses und am nächsten jenes vorhaben, da geben Väter mitunter schnell auf. Mütter sind da hartnäckiger. Väter glauben oft, die Kinder brauchen sie nicht so sehr wie die Mutter. Das heißt, die väterliche Identität ist relativ schwach ausgeprägt.

Dann gibt es auch die Situation, dass die Mutter den Kontakt unterbindet. Hier ist das Problem die Unfähigkeit, zwischen Paar- und Elternebene zu unterscheiden. Und schließlich ist auch Gewalt des Ex-Partners ein Grund, warum kein Kontakt mehr besteht.

dieStandard.at: Meinen Sie, dass sich diese Gründe mit Einführung der automatischen gemeinsamen Obsorge ändern würden?

Tazi-Preve: Ich denke nicht. Die Ursachen für diese Gründe liegen im gesellschaftspolitischen Bereich begraben und lassen sich nicht über das Recht ändern. Wir brauchen eine gesellschaftspolitische Debatte über dieses Thema. Es ist mir ein Rätsel, warum sich die Politik von dieser kleinen Gruppe, die die automatische gemeinsame Obsorge verlangt, vor sich hertreiben lässt. Insbesondere wenn man sich anschaut, dass bei großen anderen Themen wie der Einkommensschere nichts weitergeht - obwohl hier dringend Handlungsbedarf besteht. (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 26.7.2012)