Fundstück aus den Sixties: Andy Milligans "Nightbirds".

Foto: BFI

Wien - Ein halb verhungerter junger Mann wird von einer jungen Frau auf der Straße aufgelesen: Dee (Julie Shaw) nimmt Dink (Berwick Kaler) kurzerhand mit auf ihr Zimmer unter dem Dach eines armseligen Häuschens im Londoner Osten. Die beiden teilen bald das Matratzenlager und ein karges Leben. Während Dee mit dem Vermieter einen recht freizügigen Umgang pflegt, ist sie ihrerseits nicht bereit, Dink mit irgendeinem anderen Wesen zu teilen.

"Nightbirds" heißt das böse kleine Gossendrama, das der New Yorker Selfmade-Filmemacher Andy Milligan 1968 in Großbritannien produzierte. In Schwarz-Weiß, mit verwaschenen Kontrasten und aus buchstäblich schrägen Perspektiven entwickelt sich da ein intensives Kammerspiel, welches ab und an in halbdokumentarischen Szenen auch nach draußen, in die zeitgenössische Wirklichkeit führt.

Der Film blieb nach seiner Fertigstellung so gut wie ungesehen. Der 1991 verstorbene Milligan wurde und wird vor allem für jenen schundigen Horror verehrt, der hinter Titeln wie "Gutter Trash", "Bloodthirsty Butchers" und "The Man With Two Heads" lauert. Zu den treuen Fans des B-Movie-Impresarios gehört sein junger Kollege Nicolas Winding Refn ("Drive"): Dieser sammelt Material von und über Milligan, seit er als Zwölfjähriger in einem Buch über Splatterfilm auf dessen Werke stieß. Winding Refns Kopie von "Nightbirds" war denn auch die Hauptgrundlage für den Transfer des Films - sowie des Bonustracks "The Body Beneath" (1970) - auf DVD.

Das Milligan-Double-Feature ist die 23. Veröffentlichung in der DVD-Reihe "Flipside", die das British Film Institute (BFI) 2009 startete. Die Reihe hat sich explizit der Bergung der "nichterzählten Geschichte des britischen Films" verschrieben und soll, so Label-Leiter Sam Dunn, einen Zugang zu dem eröffnen, was üblicherweise nicht so leicht erhältlich ist.

Filmerbe für alle

Das BFI an sich ist schon seit 1933 für die Archivierung des nationalen Filmerbes zuständig und dafür, britisches wie internationales Filmschaffen verfügbar zu halten. 1990 stieg man mit Klassikern des Weltkinos auch ins Kaufvideogeschäft ein - Max Ophüls' La Ronde war die erste Veröffentlichung. Inzwischen haben handliche Kunststoffscheiben die Kassetten abgelöst. Aber die Ausstattung mit Extras und ausführlichem Begleitmaterial ist sorgfältig geblieben und das Spektrum der Produktionen nicht weniger vielfältig geworden:

Heuer sind unter anderem schon die ersten Filme eines neuen Schwerpunkts zum unabhängigen US-Regisseur und Schauspieler John Cassavetes erschienen. Man hat aber auch "This Our Still Life" aufgelegt, die jüngste dokumentarische Arbeit des zeitgenössischen englischen Bild-und-Ton-Künstlers Andrew Kotting. Oder eine Kompilation feuchtfröhlicher bis bierernster Auseinandersetzungen mit einer nationalen Institution, "Roll Out the Barrel: The British Pub on Film". Ein Release, der den derzeit verstärkten Fokus auf britisches Dokumentarfilmschaffen und Dokumente britischen Alltags veranschaulicht.

Im Schnitt erscheinen mittlerweile 40 bis 45 DVDs jährlich. 2011 war laut Auskunft überraschend Ken Russells "The Devils" (1971) der Bestseller unter den aktuellen Neuauflagen. Bei den Katalogtiteln sind der gesammelte Jacques Tati, Akira Kurosawas "Sieben Samurai" und Luchino Viscontis "Der Leopard" die unangefochtenen Allzeitfavoriten. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 25.7.2012)