Eigentlich sollte das Areal ein "Park der unbekannten Möglichkeiten werden, in dem der neue Stadtteil wachsen kann", sagt Hubeli, der die Asset One in Sachen Konzeption beraten hatte. Foto: Elmar Gubisch

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Hubeli glaubt, dass direkte Demokratie an Grenzen stößt.

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Ernst Hubeli erzählte Colette M. Schmidt, warum er glaubt, dass Städte heute Spielräume und Leerstellen brauchen.

STANDARD: Viele Grazer verstehen nicht, warum Bürgermeister Siegfried Nagl die Umfrage zum Kauf der Reininghaus-Gründe so rasch machen wollte. Die Kaufoption für die Stadt bestand angeblich bis Oktober. Was war Grund für die Eile?

Hubeli: Wenn eine Immobilienfirma hohe Schulden hat und die Gläubiger, unter anderem die Staatsbank, Druck machen, ist jeder schuldenfreie Tag ein Gewinn.

STANDARD: Die Ablehnung der Grazer war breit. Gab es im Vorfeld genügend Information?

Hubeli: Nein. Die Befragung hat ja die meisten überfordert, da die Hintergründe im Dunkel blieben. Geht es um die Rettung der Besitzer oder um öffentliche Interessen der Stadt?

STANDARD: Sind die Reininghaus-Gründe noch im Ganzen erhältlich, oder gab es schon Teilverkäufe?

Hubeli: Nach meinen Informationen sind einige Grundstücke verkauft, aber nicht in dem Ausmaß, dass eine Stadtentwicklung verunmöglicht würde. Gelingt es der Stadt nun nicht, die Zerstückelung des gesamten Areals zu verhindern, damit es als Ganzes entwickelt werden kann, wird ein trostloses Wohnghetto entstehen.

STANDARD: Wie kann die Stadt das jetzt noch verhindern?

Hubeli: Wenn auf einem Grundstück keine Rechtssicherheit besteht, ist es viel weniger wert. Positiv gesagt: Die Stadt kann sagen, wir brauchen zuerst ein Gesamtkonzept für die Entwicklung, weil das auch mit einem großen Vorteil für die Besitzer verbunden ist. Nur so kann Hochwertiges entwickelt und 08/15 verhindert werden.

STANDARD: Halten Sie einen Stadtteil, der ja keine Insel für sich sein kann, für auf dem Reißbrett planbar?

Hubeli: Nein. Dies gilt im Besonderen für Reininghaus, das schlicht zu groß ist für einen Masterplan. Der letzte Fall eines großen Masterplans ist die Hafencity in Hamburg, der zu einem Desaster wurde, weil alles viel zu starr geplant war. In der Folge sind hohe Fluktuationen und Leerbestände entstanden, und schließlich sind dann die Großinvestoren ausgestiegen.

STANDARD: Welche Erfahrungen haben Sie in Ihren Jahren als Berater der Asset One hinter den Kulissen sammeln können, als an der Vision eines modernen Öko-Stadtteils gefeilt wurde?

Hubeli: Die Stadt ist heute weniger Stein, würde Wittgenstein sagen. Sie ist ein kommunikatives Nervensystem und muss deshalb interaktiv geplant werden. Die Planung beginnt also nicht mit Plänen, sondern mit der Diskussion über Defizite und Möglichkeiten, über Wünsche und Ziele. Zudem muss man heute die Stadt wie eine Spielanlage verstehen. Sie braucht Spielräume, auch Leerstellen. Es braucht auch Orte, wo (noch) nichts geschieht, wie Peter Handke sagt. Reininghaus sollte ein Park der unbekannten Möglichkeiten werden, in dem der neue Stadtteil wachsen kann.

STANDARD: Wie halten Sie es als Schweizer Architekt mit der direkten Demokratie in Sachen Städteentwicklung?

Hubeli: Sie ist eine Voraussetzung, aber kein Allheilmittel. Wir Schweizer sind mit allen demokratischen Wassern gewaschen. Bürgerbeteiligung macht nur Sinn, wenn klar ist, wer über was entscheiden kann. Ein bloßes Abtasten der Volksmeinung, um dann anders zu entscheiden, bringt eine Regierung nachhaltig in Verruf. Umgekehrt stoßen demokratische Verfahren hier an ihre Grenzen. Etwa, weil egoistisch entschieden wird. Wenn die neue Straßenbahn nicht an meinem Haus vorbeifährt, bin ich dagegen. Und es gibt Fragen, die eine professionelle Sicht verlangen. (Colette M. Schmidt, DER STANDARD, 25.7.2012)