Franz Manola.

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Manola: "Netz, Computer und Fernsehen werden sich doch noch zusammenraufen müssen."

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15 Jahre nach dem Start von ORF.at geht es Richtung Smart TV - hier Samsungs Ansatz.

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Laut der in den späten 90erJahren allgemein akzeptierten Branchenübereinkunft, Internetjahre sind Hundejahre, habe ich mein 15-Jahr-Jubiläum bei ORF.at irgendwann Anfang 2000 absolviert. Also ziemlich genau zu jenem Zeitpunkt, als der Dotcom-Friedhof angelegt wurde. Auf dem in den folgenden Monaten und ein, zwei Jahren Folgendes zu Grabe getragen wurde: unzählige Projekte und Euphorien samt dazugehörigen Invest-Milliarden, Lebens- und Businessplänen, eigentlich die New Economy als Ganzes samt Beschleunigung und Hundejahrerechnung. Vor allem aber die Utopie, die Welt würde einfacher und besser und reicher sein, wenn sie erst einmal gelernt hat, im Cyberspace zu leben.

Das für manche bis heute andauernde Folgejahrzehnt war für diese Pioniergeneration eine einzige Chill-out-Party, wobei der schnell schrumpfende Party-Anteil nur überlebt hat, weil auffallend viele Start-up-AG-Vorstände in die Gastronomie wechselten. Die Medienrevolution geht durch den Magen, bevor sie dir auf den Magen schlägt. Das hatte ich früh gelernt.

Orlando, Florida, vor genau 20 Jahren: Time Warner, der weltgrößte Medienkonzern und riesige TV-Kabelbetreiber, verlautbart, er baue an einem Showcase für die digitale Medienära, einer ersten Raststätte auf dem Info-Superhighway. In mehreren tausend Haushalten würden die digitalen Untertassen fliegen, analoge Fernsehgeräte digital Kaffee machen, digitale Kaffeemaschinen Hausaufgaben und Terminpläne analog ausdrucken ... Oder so ähnlich. In den folgenden drei Jahren pilgerten Medienmanager aus aller Welt zu der interaktiven Baustelle, die nicht und nicht fertig wurde, aber die Fantasie einer Branche gefangen hielt, die sich selbst für groß hielt und sich eine andere als eine gigantisch superbreitbandige Zukunft nicht vorstellen wollte.

Ressort: Zukunft

Mit mir hatte das insofern zu tun, als ich genau in diesem Orlando-Moment in die Dienste des ORF eintrat, in ein neu geschaffenes Referat Unternehmensstrategie, Ressort: Zukunft. Egal wie ich meine Time-Warner-Unterlagen drehte und wendete, am Ende blieb die Pizza übrig. Die man sich interaktiv auf dem Fernsehgerät aussucht und durch Drücken des Red Button an der Fernbedienung bestellt, um sich alsbald wieder einem der 1000 Kanäle zuzuwenden.

Sorry, aber das war mir - Hausverstand oder doch Bauchgefühl? - zu albern. Bis heute reicht ein Sprint zur Tiefkühltruhe, ein gezielter Wurf in die Mikrowelle und niemand muss beim Tatort darben, allenfalls zwei Minuten versäumen. Ich war bereit, meine berufliche Zukunft darauf zu verwetten, dass Menschen auch in ferner Zukunft keine dressierten Affen sein werden, die bei Hungerattacken rote Fernsehknöpfe drücken. Und dass die tiefsitzende Vorstellung der Fernsehbranche falsch ist, alles müsse XXL-groß sein, auch ihre Zukunft und die Technologie, die sie dorthin führt.

Dass man nur weitab dieser "Think big"-Branchenkultur des Fernsehens ins Internet findet; dass die sechsspurige Info-Autobahn ein Hirngespinst ist; dass nur der gewundene Feldweg mit der Kennung TCP/IP in die Zukunft führt; dass die Ressourcen des Konzerns auf dieser Strecke nicht nur nutzlos sind, sondern abzuwerfender Ballast - das waren die zu Kernüberzeugungen verfestigten Ideen, die ORF.at zugrunde lagen. Heute finden 800.000 User täglich darauf was Nützliches. Spiegel online schafft auf einem zehnmal größeren Markt 1,4 Millionen und bild.de 2,1 Millionen.

Stichwort: Smart TV

Und dennoch: Nur jeder zweite Österreicher ist täglich überhaupt online. Und die, die online sind, sind das im statistischen Schnitt 29 Minuten lang. Comscore hat für den Mai dieses Jahres ausgerechnet, dass die Österreicher diesbezüglich das Schlusslicht Europas bilden. Zwei Drittel aller Österreicher verweilen aber 260 Minuten pro Tag vor ihrem Fernsehgerät. Das ist achtmal so lang. Oder anders gesagt: Damit das Internet wachsen kann, muss es vom Fernsehen ins Schlepptau genommen werden. Damit das Fernsehen interessanter wird, muss es vom Netz gezogen werden, Stichwort: Connected TV. Damit es sich im Netz nicht verheddert, muss es Intelligenz tanken, Stichwort: Smart TV.

Ich weiß nicht, wie es anderen damit geht, aber ich finde die Entwicklung der Medien gerade jetzt spannender denn je. Ein sattes Hundejahrhundert nach Orlando werden sich das Netz, der Computer und das Fernsehen doch noch zusammenraufen müssen. (Franz Manola, DER STANDARD, 25.7.2012)