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Dem Leben mit all seinen Gefahren und Unwägbarkeiten mit ironischer Distanz in den Rachen blicken: Paradekomiker John Cleese

Foto: Reuters/Burgess

Um das gleich einmal festzuhalten: England besteht nicht nur aus glänzenden Komikern wie Rowan Atkinson (Mr. Bean) und John Cleese (Monty Python), im TV laufen nicht nur großartige Lachnummern wie Yes, Prime Minister und The thick of it. Nein, auch auf der Insel gibt es humorlose Leute.

Jahrzehntelang hatte der irisch-englische Komiker Spike Milligan seine Landsleute erfreut, Prinz Charles zählte zu seinen größten Fans. Milligans letzten Wunsch konnte aber nicht einmal der Thronfolger erfüllen. "I told you I was ill" (Ich hab' euch doch gesagt, ich sei krank) sollte auf Milligans Grabstein im Dörfchen Winchelsea (Grafschaft East Sussex) stehen. Doch mit der Spitze der Diözese Chichester war nicht zu spaßen: Auf einem anglikanischen Friedhof hätten geschmacklose Witze nichts zu suchen, befanden die strengen Kirchenfürsten und lehnten ab. "Love, light, peace" (Liebe, Licht, Friede) wünscht Milligan stattdessen nun den Besuchern seines Grabes - Gelächter ist nicht dabei.

Auch viel Ignoranz

Dabei gehört der Humor doch zur Insel wie Regen und warmes Bier. Mehr noch: Wenn schon weder beim Tennis noch im Fußball, so sei man doch wenigstens in Humorfragen eindeutig Weltmeister, finden viele Briten. Dahinter steckt viel Ignoranz, schließlich sprechen immer weniger Inselbewohner andere Sprachen. Deren Feinheiten, wozu gelegentlich auch ein Witzchen zählen mag, bleiben ihnen somit verschlossen.

So unzutreffend die Selbsteinschätzung als Humorweltmeister auch sei, glaubt die Anthropologin Kate Fox (Watching the English), so gebe es eben doch einen Unterschied: "Was uns wirklich von anderen unterscheidet, ist die zentrale Bedeutung des Humors in englischer Kultur und sozialer Interaktion." Das erste und wichtigste Verhaltensgebot besteht nach Fox in dem "Grundsatz, nicht ernst zu sein". Generell nehmen Engländer das Leben, besonders ihr eigenes, auf die leichte Schulter, jedenfalls nach außen.

Humor als soziales Schmiermittel

Für die zentrale Bedeutung des Humors gibt es überzeugende Erklärungsversuche. Weil auf der Insel zuerst das Konzept von der Freiheit des bürgerlichen Individuums aufkam, schreibt der Englandexperte Hans-Dieter Gelfert, Autor einer Kulturgeschichte des englischen Humors (Madam I'm Adam), bedurfte es eines Instruments, um gesellschaftliche Konflikte abzumildern. Humor diente als soziales Schmiermittel: "Die Engländer haben ihren Humor also deshalb entwickelt, weil sie ihn als Organ zum gesellschaftlichen Überleben brauchten."

Das erklärt auch die Kälte, die dem englischen Humor für deutschsprachiges Empfinden anhaftet. Sprachwitzduelle werden mit ähnlicher Härte geführt, als hätte man echte Waffen. Da kommt hinter der Fassade der Contenance schnell einmal Brutalität zum Vorschein - Emotionen, die sich anderswo schlecht abreagieren lassen. "Der Humor ist neben dem Sport für Engländer wahrscheinlich das wichtigste Ventil für das Abreagieren von Aggression", glaubt Anglist Gelfert.

Das Wetter - ein Witz

Unweigerlich wird auch der Engländer Lieblingsthema durch den Kakao gezogen. "Genießen Sie den Sommer" - nach gefühlten drei Jahren Dauerregen war dieser Wunsch in den vergangenen Tagen entweder Ironie oder seelische Grausamkeit, manchmal auch beides. Wer hingegen vom "nicht gänzlich befriedigenden Sommer" sprach, erwies sich als Meister eines Fachs, in dem die Briten wohl mindestens Europameister sind: im Understatement.

Auf der Insel kann man sich damit rasch Freunde machen, im Ausland empfiehlt sich diese Sprachform weniger, wie ein britischer General im Koreakrieg feststellen musste. Von seinem US-Vorgesetzten nach dem Schicksal seines heftig kämpfenden Bataillons gefragt, erwiderte der Offizier höflich: "Die Lage ist ziemlich unerfreulich" (pretty sticky). Was in jedem an englische Zwischentöne gewöhnten Ohr schrille Alarmglocken hätte läuten lassen, ließ den Amerikaner gänzlich ungerührt. Die Einheit wurde aufgerieben.

Gefährliches Understatement

Womit wir bei den Humor-Gefahren wären. Für Leute, die merkwürdige Idiome wie Amerikanisch sprechen, kann die immerwährende Ironisierung schnell störend wirken. Aber auch im eigenen Land tun sich die Engländer manchmal keinen Gefallen: Wo harte Entscheidungen gefragt sind, können befreiende Witzchen eine notwendige Spannung zerstören. Das Problem ist damit nur in die Zukunft gelacht.

Wenigstens hat der Komiker Milligan noch im Tod den Autoritäten die Narrenkappe aufgesetzt. Neben dem englischen Slogan "Love, light, peace" trägt sein Grabstein die gälischen Worte "Dúirt mé leat go raibh mé breoite", was auf Deutsch bedeutet: Ich hab' euch doch gesagt, ich sei krank. (Sebastian Borger, DER STANDARD, 24.7.2012)