Nur kein Neid jetzt. Aber hin und wieder zwickt es. Etwa wenn die Kids vorbeiziehen. Also eigentlich eh immer. Aber das kann man ja nicht zugeben. Nicht weil die Kinder - also alle unter 30 - heute so viel schöner oder fescher angezogen sind. Mitnichten (so viel Stolz sollte man als Mitdreißiger haben). Aber früher, da konnte man sich in Österreich modisch an zwei Metropolen orientieren: Bratislava oder Udine. Oder man trug ein Vermögen in die Judengasse. Und legte in den paar halbwegs akzeptablen Boutiquen für stinknormale, einfärbige T-Shirts 300 Schilling hin. In den 80er-und frühen 90er-Jahren.

Foto: Irina Gavrich

Von dem, was erträglich aussehende Kleider, Anzüge oder Kindersachen gekostet haben, ganz zu schweigen. Wir reden hier nicht von Designersachen oder Markenware, sondern von Alltagskleidung.

Bratislava begann in Bregenz. Und reichte bis Von dem, was erträglich aussehende Kleider, Anzüge oder Kindersachen gekostet haben, ganz zu schweigen. Wir reden hier nicht von Designersachen oder Markenware, sondern von Alltagskleidung.

Bratislava: sattes Grau, mattes Beige, trübes Braun. Elende Muster, tragische Schnitte. Wer anders aussehen wollte, musste weiter weg. Zumindest bis Udine.

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Freilich gab es auch noch Plan B. Uniformen. Peergroup-Uniformen. Den normierten Individualismus: Teddyboys, Mods, Punks - später auch Skinheads - waren optisch (und musikalisch) immer noch spannender als der Bratislava-Look mit Austropop-Soundtrack - und es gab genaue Outfit-Richtlinien. Blieb noch das Beschaffungsproblem: Doc Martens etwa gab es auch in Udine nicht. Dafür schuf ein Kofferraum-Privatimport von Springerstiefeln aus London Hierarchien und Loyalitäten, die bis heute funktionieren.

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Andererseits musste man sich blöde Fragen gefallen lassen. Egal ob als uniformierter Jugendbewegungsadept oder italoshoppender Neutextilträger: ob man über Nacht reich geworden sei. Denn billig war der Spaß nicht. Oh nein. Weder hier noch anderswo. Aber ein Krokodil, ein Lorbeerkranz oder ein Polopferdchen auf der Brust oder ein rotes Fahnderl an der Jean (Levi's lieferte lange Zeit nur mit orangen Labeln nach Österreich) genügten, um Avantgarde zu sein.

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Das funktionierte bis Mitte der 90er-Jahre. Plötzlich war es möglich, sich auch ohne James-Dean-Poster, Quadrophenia-Filmabende und 012-Seesack gut anzuziehen - und trotzdem nicht auszusehen, als wäre man gerade durch die Maschen des Eisernen Vorhanges geschlüpft. Stil und Sicherheit ließen sich qua "trial & error" üben - und vor allem: Mode wurde leistbar. Für das, was man heute für den Kubikmeter Stoff im Plastiksack eines typischen Shoppingboulevard-Expedition-Jungmenschen zu löhnen hat, hätte es vor 1994 drei T-Shirts gegeben. Vielleicht auch nur zwei.

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1994 war das Schlüsseljahr. Da war Revolution. Und die hat einen Namen: H & M. Die Schweden rollten die heimische Textilszene auf. Als in der SCS im Süden Wiens die erste Filiale aufsperrte, war das ein Schock: Den Kunden und den ver- schnarchten Textilanbietern wurde aufgrund der Preis- und Sortimentpolitik schwindlig. Einige passten sich an. Manche verschwanden. "Wir haben", stellt Hilda Grandits, Pressesprecherin von H & M-Österreich trocken fest, "den Modemarkt liberalisiert und demokratisiert."

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Andere internationale Ketten ließen H & M höflich den Vortritt - und kamen ein paar Jahre später mit ähnlichen Strategien nach. Dass die Billigketten den Markt und auch das Modekonsumverhalten der Österreicher verändert haben, lässt sich aus den Zahlen der Wirtschaftsstatistiker allerdings nur indirekt herauslesen: Glaubt man den Erhebungen, in denen Österreichs Wirtschaftskammer Konsumausgaben nach Sparten aufschlüsselt, gab es in Sachen Mode seit den späten 70er-Jahren keine auffälligen Veränderungen. Sicher: Die Summen (1977 waren es 2,83 Milliarden Euro, 2001 schon 6,75 Milliarden) stiegen kontinuierlich. Aber von dramatischen Sprüngen oder besonders auffälligen Zuwächsen ist wenig zu sehen.

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Der Blick auf die Straße sagt aber, dass heute mehr und öfter Mode gekauft wird als früher. Also muss ein Teil der Produkte deutlich billiger geworden sein. Eine Milchmädchenrechnung - aber doch auch schlüssig. Freilich: So wirklich revolutionär war die Revolution vielleicht doch nicht. Zwar suggerieren Zahl und Verfügbarkeit der Low-Budget-Anbieter, dass das total individualistische Outfit für kein Geld möglich sei.

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Aber das Zappen durch Kabelkanäle, eine Beschau der Outfits sämtlicher Teenie-, Boy-, Girlie- und Castingbands, eine Inventur in der Garderobe der MTViva-Frontfiguren oder der Darsteller von Serien wie "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" genügt, um die Illusion vom Ende der einheitlich-konformen Wäsche platzen zu lassen: Es sind drei, vielleicht vier Grundstile, die da konzerngrenzenübergreifend angeboten werden. In vielen bunten Kombinationen und Variationen zwar, aber im Grunde nicht mehr als ein paar Hand voll standardisierter Zeitgeist-Outfits: Individualismus? Ist nicht. Weniger denn je.

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Die Menschen in Wien sind immer noch so angezogen wie die in Bratislava. Nur trägt man in Bratislava heute halt dieselben Sachen wie in Udine. (Der Standard/rondo/27/6/2003)

Text: Thomas Rottenberg
Fotos: Irina Gavrich
www.irinagavrich.com

Foto: Irina Gavrich