Led Zeppelin
How The West Was Won
(Atlantic/Warner)

Foto: Warner

Gitarrist Jimmy Page hat beim Durchforsten der Archive unbekannte Konzertmitschnitte seiner alten Rockgötter Led Zeppelin aus 1972 gefunden. Zusammengefasst wurden diese auf der sensationellen Dreier-CD "How The West Was Won"

Led Zeppelin gilt als jene Band, die neben Black Sabbath das Genre Heavy Metal nicht nur prägte wie keine andere. Led Zeppelin definierte von 1968 herauf bis 1980 über acht Jahre lang auch den Heavy Metal mit einer stilprägenden Mischung aus auf Erdbebenlautstärke gespieltem Blues und diversen anderen Spielarten wie britischer Folk, World-Music, Reggae und vor allem auch Funk. Weitere Vorlieben, die in das acht Alben umfassende Werk thematisch Eingang fanden: J.R. Tolkins Wurzelsepp- und Waldschrat-Hippie-Mythologie aus Herr der Ringe, diverse nebenher angelesene mythologische Versatzstücke aus Vorder- und Hinterindien und überhaupt allem, was die Indianer zu bieten haben, speziell aber Aleister Crowleys satanischer Black Magick. Sie legten mit für all das Brimborium notwendigen Alben als Gesamtkunstwerke den Grundstein für eine bis heute aktive Szene, in deren klassischer Phase es weder Singleauskopplungen noch überhaupt gesuchte persönliche Kontakte mit den Fans gab. Götter müssen unnahbar sein. Die Distanz zerstört die heilbringende Aura.

Nachdem es schon 1969 beim namenlosen und später unter römisch-eins abgelegten Led Zeppelin-Albumdebüt seitens der Presse eher ablehnende Kritik gesetzt hatte, verweigerte die aus Gitarrist Jimmy Page, Sänger Robert Plant, Bassist John Paul Jones und Schlagzeuger John Bonham bestehende Band aus den Überresten der legendären Yardbirds fürderhin Interviews, wo dies möglich war. Sie scheute wegen der schlechten Akustik und Atmosphäre weitgehend Fernsehauftritte und erfand, um mit dem bald millionengroßen Publikum "kommunizieren" zu können, das bis heute seine schrecklichen Kreise ziehende Unding des Stadion-Rock. Später auch bekannt als gemeinsames Fernsehen von 50.000 Freunden bei überteuertem Eintritt, schlechter Sicht, warmem Bier und schlechtem Sound.

Wie der 1973 im New Yorker Madison Square Garden gedrehte und erst drei Jahre später gleichzeitig mit einem Livealbum veröffentlichte Konzertfilm The Song Remains The Same in seinem Größenwahn bei mickriger Tonqualität beweist: Spätestens zu dieser Zeit hatte nicht nur die unselige Doppelhalsgitarre Einzug in die Rockmusik gehalten. Auch Gruppensex in Privatjets, chemische Hilfsmittel, kurz gesagt, die Dekadenz hatte hier einen Fuß in der Tür. Immerhin bedeutete dies langfristig auch das Ende von Led Zeppelin. Im September 1980 fand man Schlagzeuger John Bonham vollgepumpt mit Drogen tot in seinem Bett. Und Led Zeppelin war bis auf wenige Ausnahmen Geschichte (die Honeydrippers-Ep 1984, Live Aid 1985, das 25-jährige Jubiläum ihrer Plattenfirma Atlantic, die Page-Plant-Platte Walking Into Clarksdale 1998 ...).

Nimmt man, bitte, einmal von The Song Remains The Same gehörigen Sicherheitsabstand: Abgesehen von diversen grauenhaft blechern klingenden Bootlegs und den 1997 veröffentlichten BBC Sessions war bisher kein vernünftiger Livemitschnitt von Led Zeppelin auf dem Markt. Beim Zusammenstellen von jetzt ebenfalls veröffentlichten, zwei über fünf Stunden Spieldauer aufweisenden DVDs mit diversen Live-Shows, seltenen Fernsehauftritten und anderem raren Bildmaterial für Fans, inklusive einem Mitschnitt des allerletzten Konzerts von Led Zeppelin 1979 in Knebworth, ist Jimmy Page jetzt allerdings auf einen Schatz gestoßen.

Zwar wurden die beiden hier vorliegenden Shows damals leider nicht mitgefilmt. Die Mischpultaufnahmen von zwei Konzerten in Los Angeles aus dem Juni 1972 sind allerdings eine Wucht. In dieser Zeit waren Led Zeppelin nicht nur am Höhepunkt ihrer Kunst – was sich nicht nur in einer majestätischen Interpretation vom unvermeidlichen Stairway To Heaven niederschlägt, das man aus gutem Grund noch heute nicht im Gitarren-Shop beim Testspielen anstimmen darf. Neben einer bei Led Zeppelin nie gehörten Intensität und zwischen geschobenen Akustikgitarren-Sets (Going To California!!!) wie auch heute endlos anmutenden Soloritten von Jimmy Page und John Bonham (Dazed And Confused dauert 25 Minuten, Whole Lotta Love 23) beeindrucken neben Robert Plant geil wie Nachbars Lumpi am Mikrophon vor allem die kürzeren Songs. Wo im Studio beispielsweise Songs wie Heartbreaker oder Black Dog mit diversen Gitarrenspuren gerade auch bezüglich des Arrangements in ihrer Tiefe ausgelotet wurden, rotzt man diese live unvergleichlich härter und wilder und ohne Bremsfallschirm heraus.

Hier bleiben die Songs also nicht dieselben. How The West Was Won dokumentiert nicht nur jenes entscheidende Jahr, in dem Led Zeppelin in den USA endgültig der Durchbruch glückte. Ein besseres Rock-Livealbum in der Geschichte wird man lange nicht finden. (DER STANDARD, Printausgabe, 27.6.2003)