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Sollte eigentlich nicht zu übersehen sein - es passiert aber.

Foto: AP/Frank Augstein

Anhaltend hoher Arbeits-, Leistungs- und zwischenmenschlicher Konkurrenzdruck gilt als wesentliche Burnout-Gefahr. Doch ganz so einfach liegen die Dinge nicht. "Ob jemand bei der heutigen beruflichen starken Beanspruchung tatsächlich ausbrennt oder, ganz im Gegenteil, als Folge des hohen Forderungsniveaus an Professionalität gewinnt, das hängt auch ganz erheblich von ihr oder ihm selbst ab", sagt Thomas Weegen, Geschäftsführer der auf Zusammenarbeit und Entwicklung spezialisierten Unternehmensberatung Coverdale, München. In welche Richtung sich die Entwicklung bewege, das sei leider in einem weit unterschätzten Ausmaß auch eine Frage des persönlichen Verhaltens.

Unterstützung für diese Einschätzung bekommt er vom Schweizer Psychotherapeuten Urs Peter Lattmann aus Aarau. Auch für Lattmann liegt das "Geheimnis" körperlicher wie seelischer beruflicher Standfestigkeit vor allem mit darin, ein Empfinden dafür zu entwickeln, wann von Anspannung auf Entspannung umgeschaltet werden muss. Dafür gebe es eindeutige Signale, die beachtet werden sollten.

Die eindeutigen Signale

Bei etwas Selbstaufmerksamkeit seien die unübersehbar: physisch zunehmende Erschöpfungsgefühle; psychisch gesteigerte Erregbarkeit; sozial: alle gehen einem zunehmend auf die Nerven; verhaltensmäßig wachsende Ungeduld. "Diese Merkmale machen darauf aufmerksam: Meine Anspannung verlässt den gesunden Bereich", sagt Lattmann.

Um der Gefahr vorzubeugen, Gesundheit, berufliche Entwicklung und nicht zuletzt die Freude am Leben durch Ausbrennen zu gefährden, müssten diese Zeichen beachtet und ernstgenommen werden. Denn "die positive, beflügelnde Anspannung schlägt gnadenlos in negative, lähmende Abgeschlagenheit bis hin zur Apathie um, wenn weder Empfinden noch Fähigkeiten für eine individuell optimale Spannungsbalance und Spannungsregulation vorhanden sind", warnt Lattmann.

Eine wichtige präventive, selbstschützende Maßnahme ist damit, die persönliche Spannungslage einschätzen zu lernen und Fähigkeiten für eine entlastende Spannungsregulation zu entwickeln. Voraussetzung dafür ist, " sich bewusst zu werden, dass der vielfach als plötzlich empfundene Umschwung im Spannungsempfinden ein schleichender, sich allmählich aufbauender Prozess ist", sagt Lattmann. Es komme also darauf an, ein Gefühl für diese Entwicklung und die sie begleitenden Zeichen zu bekommen, die viele Gesichter habe.

Körperliche Anzeichen

Unmittelbar körperliche Anzeichen einer gestörten Spannungsbalance sind Muskelverspannungen, die viel beredeten Nacken-, Schulter und Rückenschmerzen. Aber auch hoher Blutdruck, Schlaf- und Verdauungsprobleme, übermäßiges oder nächtliches Schwitzen, vermeintliche Herzprobleme (Herzneurose), Lustlosigkeit in der Paarbeziehung.

Auf der Gefühlsseite warnen Empfindungen wie Überforderung, Hilflosigkeit, Ausweglosigkeit, Sinnlosigkeit, Einsamkeit vor einem heraufziehenden Burnout. Eindeutige Warnzeichen sind auch anhaltende innere Unruhe, emotionale Unausgeglichenheit und Gereiztheit, Versagens- und Zukunftsängste. Mental meldet sich die fortschreitende Überbelastung mit Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen. Oder mit tendenziell zunehmender negativer Bewertung der Arbeit ("Auch das noch!"), der Mitmenschen ("Überall Idioten!") und des Lebens überhaupt ("Ist doch eh alles Mist!"). Und ständigem Grübeln.

Und last, but not least deuten auch unkontrolliertes (Neben- bei-)Essen und ebensolcher Gebrauch stimulierender Drogen wie Alkohol, Tabak, Medikamente oder mehr, die wachsende Menge an Unerledigtem, zunehmende Fehlzeiten am Arbeitsplatz, sozialer Rückzug sowie stressbedingte Unfälle auf den sich anbahnenden Absturz hin. "Mehr Achtsamkeit im Umgang mit sich selbst", für Lattmann ist das der beste Schutz vor dem tiefen, aber eben oft auch völlig unnötigen, vermeidbaren Fall in den Burnout.

Selbstkritische Fragenliste

Er rät, sich selbstkritische Fragen zu stellen: Wie esse ich? Hastig, nebenbei oder in Ruhe, auf die Mahlzeit konzentriert? Wie arbeite ich? Strukturiert, planvoll, ohne Angst vor einem gelegentlichen klaren Nein oder stets von dem Momentanen, häufig erkennbar Überflüssigen oder Nachrangigen gesteuert? Wie gestalte ich meine Freizeit? In der Fortsetzung der Hektik des Berufsalltags oder bewusst dazu regenerierende Gegengewichte setzend? Wie sehen meine Beziehungen zu anderen aus? Hält sich Geben und Nehmen, Anspruch und Eigenleistung, Aufbegehren und (selbstkritische) Nachsicht die Balance? Wie halte ich es mit zeitgeistigen Vorstellungen? Trotte ich brav im Mainstream des allgemein Angesagten, muss ich überall dabei sein oder gestalte und lebe ich mein eigenes Leben? (Hartmut Volk, DER STANDARD, 21./22.7.2012)