Broder: "Maximale Erregung mit minimalem Aufwand."

Foto: Der Standard

Ein Beschneidungsset im Handtaschenformat.

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Als jemand, der seine journalistische Karriere bei den "St. Pauli Nachrichten" begonnen hat und von einer Kammer des Berliner Landgerichts als "Pornograf" anerkannt wurde, fühle ich mich nicht nur berufen, sondern geradezu verpflichtet, zu der aktuellen Diskussion um die Beschneidung etwas zu sagen, obwohl alles, das dazu gesagt werden muss, bereits gesagt wurde, wenn auch nicht von allen.

Zuerst einmal bin ich maßlos überrascht, mit welcher Intensität diese Debatte geführt wird. Es scheint sich um ein zentrales Problem der deutschen Identität zu handeln, ob die Juden ihre Söhne beschneiden oder alles so lassen, wie es der Herr geschaffen hat.

Wie schon bei der Debatte um eine gerechte Lösung des Nahostkonflikts, bei der fast jede Wortmeldung mit der deklamatorischen Floskel "Gerade wir als Deutsche ..." anfängt, ist auch diese Diskussion emotional extrem aufgeladen. Ich warte nur darauf, dass einer, der es mit den Juden gut meint, aufsteht und sagt: "Nach allem, was wir den Juden angetan haben, können wir es nicht zulassen, dass sie sich selber verstümmeln!", worauf ein Zweiter ergänzen wird: "Es sieht aus, als hätten die Juden aus ihrer leidvollen Geschichte nichts gelernt!"

Das Ganze ist keine Debatte über rechtliche, gesundheitliche oder religiöse Aspekte, es ist eine pornografische Debatte, sozusagen eine logische Fortsetzung der Kampagne gegen die weibliche Genitalverstümmelung. Fachleute mögen einwenden, dass es für die sexuelle Performance einen sehr großen Unterschied macht, ob die Klitoris oder die Vorhaut operativ entfernt wird, aber das ist nicht der Punkt, auf den es ankommt. Ebenso nebensächlich ist auch, ob auf eine unerlaubte Weise in die Rechte des Kindes eingegriffen wird, das nicht in der Lage ist, seine Einwilligung zu dem Eingriff zu geben bzw. zu verweigern.

Nun, der erste Eingriff in die Rechte eines Kindes ist der Moment, in dem es gezeugt wird. Bis jetzt hat man noch kein Kind gefragt, ob es auf die Welt kommen will. Ob es getauft, in den Kindergarten geschickt, mit Bio-Brei ernährt und eingeschult werden möchte. Die ganze Kindheit ist eine einzige Missachtung der natürlichen Kindesrechte.

Ebenso unmaßgeblich ist der Rekurs auf die Religionsfreiheit. Das beste Beispiel dafür ist die Vielehe. Es kann passieren, dass ein Mann, der im Jemen zwei Frauen geheiratet hat, beide bei der deutschen Sozialversicherung anmelden darf. Es wird sich aber kein Standesbeamter finden, der Bigamie amtlich absegnen würde. Und würden in Deutschland lebende Hindus den Wunsch äußern, ihre Witwen verbrennen zu dürfen und dies mit dem Hinweis auf eine religiöse Tradition begründen, würde man ihnen umgehend die Grenzen der religiösen Toleranz klar machen. - Auch das Argument, die Beschneidung werde seit Tausenden von Jahren praktiziert, taugt nicht viel. Im Laufe der Jahrtausende sind viele Bräuche aus der Mode gekommen. Zu sagen: "Das haben wir schon immer so gemacht, wo kämen wir hin, wenn wir jetzt damit aufhören würden?" ist so idiotisch wie das Argument: "Das haben wir noch nie gemacht und dabei bleibt es!"

Nein, das ist es nicht, was diese Debatte zum Spektakel macht. Ich sagte es schon: Es ist eine pornografische Debatte, die ihren Teilnehmern maximale Erregung bei minimalem Aufwand verspricht, eine Art Peepshow für den anspruchsvollen Voyeur. Natürlich kann man überall Nackte sehen, im ARD-Nachmittagsprogramm und im Englischen Garten. Das ist Freikörperkultur, ein harmloses Vergnügen. Aber bei der Debatte um die weibliche und die männliche Beschneidung geht es um Details, mit denen sich sonst nur Gynäkologen und Urologen beschäftigen, hier liegt der Patient quasi unter einem Vergrößerungsglas. Die einen mögen das aufregend, die anderen unappetitlich finden, aber hinschauen tun alle.

Und dann gibt es da noch etwas, womit man das Interesse am genitalen Detailwissen erklären könnte: die Angst des weißen Ariers, zu kurz bzw. zu schnell zu kommen. Das kann man ruhig wörtlich nehmen. Tausende von Schwarzen wurden gelyncht, weil die Weißen die Vorstellung nicht aushalten konnten, die "negroes" hätten es nicht nur auf die weißen Frauen abgesehen, sondern wären auch viel besser bestückt. Ob das stimmt oder nicht, ist unwichtig, was zählt, ist allein die mörderische Kraft der Imagination.

Chancengleichheit ...

Auch in der antisemitischen Propaganda spielte die Sexualität der Juden eine zentrale Rolle. Sie waren immer geil und zu allen Untaten bereit. Der Stürmer "berichtete" jede Woche von sexuellen Exzessen jüdischer Männer mit deutschen Frauen; die Nazis waren fest davon überzeugt, dass schon der einmalige und folgenlose Geschlechtsverkehr zwischen einem jüdischen Mann und einer deutschen Frau die Frau derart verseuchen würde, dass sie nicht mehr in der Lage wäre, arische Kinder zu bekommen.

Die Juden waren zwar - ähnlich wie die Schwarzen - "Untermenschen", verfügten aber über magische Kräfte, denen die deutschen Frauen nicht widerstehen konnten. Mit dem "Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" wurde die "Rassenschande" zu einem Verbrechen, das mit bis zu 15 Jahren Zuchthaus, in einigen Fällen auch mit dem Tode, bestraft wurde.

Es wäre extrem unfair, irgendeine Verbindung zwischen der "Rechtsprechung" in den 30er-Jahren und dem Urteil des Kölner Landgerichts zu ziehen. Ging es damals den Juden an den Kragen, sollen sie heute nur dazu angehalten werden, auf eine Art von "Privileg" zu verzichten. Angeblich führt die Beschneidung zu einer Desensibilisierung des männlichen Organs und reduziert damit die Anfälligkeit für vorzeitigen Samenerguss ("ejaculatio praecox"), was wiederum für die Dauer des Akts von Vorteil sein kann.

Ob das stimmt, weiß man nicht. Die einen sagen ja, die anderen nein. Gleiches gilt für die den Schwarzen zugesprochenen Übergrößen. Aber unterhalb der Gürtellinie kommt es nicht auf überprüfbare Fakten, sondern auf Angst befördernde Faktoren an. Deswegen kann man nicht ausschließen, dass die Kölner Richter ein politisches korrektes Urteil zugunsten der Chancengleichheit fällen wollten: Niemand soll bevorzugt oder benachteiligt werden. Man soll auch der Natur nicht mehr als unbedingt nötig ins Handwerk pfuschen, Mais nicht gentechnisch manipulieren, pränatale Eingriffe vermeiden und allen Penissen die gleichen Chancen geben.

Sollte das Urteil Bestand haben, wird sich einiges ändern. Die Christen werden aufhören, Neujahr zu feiern, denn dies ist der Tag, an dem Jesus beschnitten wurde. Stattdessen werden progressive Theologen die Frage stellen, ob Maria und Joseph verantwortungsbewusste Eltern waren.

... für alle Penisse?

Auch die Witzkultur wird Schaden nehmen. Deswegen will ich schnell noch einen Witz erzählen, den ich vor einigen Tagen gehört habe.

Auf dem Flug von Los Angeles nach New York: In der Business Class sitzen eine extrem attraktive Blondine und ein eher unauffälliger Mann nebeneinander. Sie liest den "Playboy", er das "Wall Street Journal". Nach einer Weile beugt er sich zu ihr rüber und fragt: "Arbeiten Sie für den 'Playboy'?"

"Nein", antwortet sie, "ich lese ihn aus beruflichem Interesse, ich bin Sexualwissenschafterin."

"Und was ist Ihr Spezialgebiet?"

"Ich habe meine Doktorarbeit über den Zusammenhang von ethnischer Zugehörigkeit und sexueller Performance geschrieben."

"Ist ja hochinteressant", sagt der Mann, "können Sie mir sagen, was Sie herausgefunden haben?"

"Gerne", sagt die Blondine, "die Indianer haben die längsten und die Juden können es am längsten."

Der Mann überlegt einen Moment, dann sagt er: "Entschuldigen Sie bitte, ich habe vergessen, mich vorzustellen. Ich heiße Winnetou Goldberg." (Henryk M. Broder, DER STANDARD, 18.7.2012)