Michael Nentwich, René König: "Cyberscience 2.0. Research in the Age of Digital Social Networks". Campus-Verlag, 2012

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Die Tatsache, dass Wissenschafter wie Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman die Angebote des Web 2.0 nutzen, ist keine Nachricht mehr wert. Krugman verdankt ja einen Gutteil seiner Popularität den Blogs, die er schreibt. Michael Nentwich, der Direktor des Instituts für Technikfolgen-Abschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, selbst aktiver Facebook- und Twitter-User, interessiert sich daher mehr für die Art der Nutzung und für die Auswirkungen auf das wissenschaftliche Arbeiten und Publizieren.

In seinem Buch Cyberscience 2.0 beschreibt er gemeinsam mit dem Soziologen René König einen Trend, der offenbar Mitte des vergangenen Jahrzehnts seinen Anfang genommen hat. Seither sind es nicht nur immer mehr Wissenschafter, die bloggen und twittern, sie beteiligen sich auch an gemeinschaftlichen Textproduktionen wie Wikipedia. Manche sind auch über die Forschungsinstitute, denen sie angehören, im virtuellen Paralleluniversum Second Life vertreten. Daneben präsentieren sie ihre Arbeit auf Facebook-Plattformen für Wissenschafter wie dem in Deutschland gegründeten ResearchGate. Hier können die Mitglieder mit einer Suchfunktion in einer Datenbank mit mehr als 30 Millionen Einträgen blättern und Wissenschafter suchen, die an ähnlichen Forschungsprojekten arbeiten.

ResearchGate hat wie Mendeley, eine Plattform zum Austausch wissenschaftlicher Artikel, weit mehr als eine Million User. Wenn man dann noch bedenkt, dass über Google Scholar immer mehr wissenschaftliche Studien abrufbar sind und auch die frei zugänglichen Online-Zeitschriften aus dem Boden sprießen, kann der Paradigmenwechsel beim wissenschaftlichen Arbeiten und Publizieren eigentlich nur als vollzogen bezeichnet werden. Noch nie war es auch so leicht, Plagiatsschreiber zu überführen.

Informationsüberflutung

Nentwich und König geben in dieser akademischen Auseinandersetzung mit dem Arbeitsalltag eines Wissenschafters aber zu bedenken, dass die Nutzung von sozialen Netzwerken und Web 2.0 in der Forschung derzeit unstrukturiert und ohne Richtlinien verläuft. Das führt wie bei jedem anderen Nutzer auch zu Informationsüberflutung und Problemen beim Zeitmanagement, berichten die Technikfolgenabschätzer. Gibt es Wissenschafter, die sich der Postings auf Facebook nicht mehr erwehren können? "Mit Sicherheit", sagt Nentwich, wobei das auch eine Folge der zunehmenden Öffentlichkeitsarbeit im Wissenschaftsbetrieb ist. Forscher, die im Netz aktiv sind, gewinnen an Ansehen in der Bevölkerung.

Nentwich und König fordern schließlich ein Anreizsystem für Wissenschafter, um sich in sozialen Netzwerken zu bewegen und Blogs zu schreiben. "Ansonsten werden sie diese Publikationsform wieder vernachlässigen und nur ihre Arbeiten in Journalen publizieren, weil sie danach beurteilt werden." (Peter Illetschko, DER STANDARD, 18.7.2012)