Der größte Fall von Zinsmanipulation in der jüngeren Finanzgeschichte dreht sich aktuell um eine moralische Frage. Londons Aufseher reagieren auf die Lügen rund um den Interbankenzins Libor - oder "Lie-bor", wie er mittlerweile auch genannt wird -, indem sie die Kultur der Banken verändern wollen. Politik und Aufsicht prangern die moralische Verwerflichkeit des Handelns in der City an - der "Jauchegrube", wie ein Notenbanker die Absprachen zur Libor-Manipulation auch nannte.

Doch dieser Zugang ist naiv. Zwar ist es wichtig, zu wissen, welcher Banker oder Aufseher von Barclays oder anderen Geldinstituten von der Manipulation wusste, die den Wert von hunderten Milliarden Euro an Derivaten und Krediten beeinflusst hat. Denn es wird straf- und zivilrechtliche Konsequenzen geben, etwa wenn Fonds und Kunden von den 18 Großbanken Schadenersatz verlangen.

Aber dass sich Bankenaufseher über die "Kultur" im Bankgeschäft echauffieren, ist eine krasse Themenverfehlung. Kartellbildung ist keine Frage der Moral. Es ist eine Frage von Anreizen. Dass die Zinsmanipulationen so weitreichend waren, über viele Jahre andauerten und fast täglich stattfanden, ist Ausdruck eines Banksystems, in dem kaum Wettbewerb, sondern ein mächtiges Oligopol herrscht. Und es zeigt, dass die Angst vor Konsequenzen in keiner Relation zu den Anreizen steht, etwa den Bonuszahlungen, die bei gelungener Manipulation winkten. (Lukas Sustala, DER STANDARD, 18.7.2012)