Wien - Eislers Äußeres war wenig heroisch. Einem kugelförmigen Rumpf saß ein ebenso kugelrunder Kopf auf. Der Bund seiner schlecht geschnittenen Hosen reichte Hanns Eisler (1898-1962) beinahe bis zum Kinn. Es gibt Fotos aus den 1930ern, die den Arbeiterkomponisten an der Seite seines bevorzugten Librettisten Bertolt Brecht zeigen: Brecht sieht an der Seite des musizierenden Energiebündels aus wie ein hoch aufgeschossener Oberschüler.

Wäre die Welt nicht damit beschäftigt, Gesinnungen nachzuprüfen, sie hätte das Gespann Eisler/Brecht längst einem anderen Dioskurenpaar gleichrangig an die Seite gestellt: Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss. Der Wiener Eisler, der bei dem bürgerlichen Revolutionär Arnold Schönberg in die Schule gegangen war, konnte Strauss nicht ausstehen. Er witterte hinter der strahlenden Klangfassade des Rosenkavaliers Dummheit: "Wenn von einem Hund gesprochen wird, bellt es im Orchester, wenn von einem Vogel gesprochen wird, zwitschert es ..."

Bei Eisler, dessen ganze Wut der bürgerlichen Verlogenheit galt, meint jedes Gezwitscher noch etwas anderes. Seine Musik wirbt darum, verstanden zu werden. Sie buhlt nicht um den Hörer, sie überwältigt ihn auch nicht. Eislers pfiffige Partituren machen Vorschläge: Wer seine Chöre, Lieder, Kammermusiken hört, soll dem Angebot ohne Reue Folge leisten und (politisch) Stellung beziehen.

Höchster Standard

Musik darf den Zuhörer nicht einlullen (Richard Wagner!). Sie soll schlank sein: ein Gebrauchsgegenstand, der angenehm ist, nützlich, dabei technisch höchster Standard. Wer jemals das Lob des Kommunismus aus der Bühnenmusik zu Brecht/Gorkis Die Mutter gehört hat, versteht, warum Nützlichkeit etwas mit Freundlichkeit zu tun hat: "Er (Anm.: der Kommunismus) ist vernünftig, jeder versteht ihn. Er ist leicht", murmelt Helene Weigel in der berühmten Berliner Aufnahme von 1951, als stünde sie unter Hypnose. Der süddeutsche Akzent der Weigel lässt jeden Gedanken an Dogmatik sofort zerschmelzen.

Sollte Eisler in seiner bedingungslosen Parteinahme für den Kommunismus geirrt haben - und einiges spricht dafür -, so hat er noch zu Lebzeiten teuer dafür bezahlt. Eisler verbrachte viele Jahre seines Komponistendaseins auf der Flucht. Der Agitationskünstler trat von der Bühne der Weimarer Republik überstürzt ab. Er hetzte atemlos nach London, Paris und Dänemark, ehe er sich in den USA niederließ, wo er, an der Westküste komfortabel untergebracht, des endlosen Sommers doch nicht froh wurde.

Eisler ließ Oscar-Nominierungen über sich ergehen. Er arbeitete für Charlie Chaplin und Charles Laughton. Wegen seines parteikommunistischen Bruders Gerhart wurden Gesinnungsschnüffler auf ihn aufmerksam, und Eisler musste sich vor der Kommission für "unamerikanische Umtriebe" 1948 im Repräsentantenhaus verantworten. Strawinsky und Picasso traten für ihn ein. In Friederike Wißmanns hervorragender Biografie Hanns Eisler - Komponist. Weltbürger. Revolutionär. wird Eislers Heldenmut am besten dadurch deutlich, dass sie von der Courage dieses Allerklügsten kein Aufhebens macht. Die Epochen seines waghalsigen Lebens betrachtet die Musikhistorikerin wie durch Brenngläser: Wißmann hält sich bei einzelnen Partituren auf, um durch die Feinheiten der Harmonik hindurch auf das große Ganze zu verweisen.

Mit Eislers Übersiedlung in die DDR zerbricht die Kontinuität seines Lebens. Er darf die Nationalhymne komponieren, was er 1949 in ein paar Minuten erledigt ("Solche Sachen macht man nur sehr rasch oder gar nicht" ). Sein letztes, ehrgeizigstes Projekt, die Komposition einer Johann Faustus-Oper, in der er die "deutsche Misere" auf die Zeit der Bauernkriege zurückführt, wird ihm von den Parteiapparatschiks abgeschmettert.

Wiederum wird Eisler verhört, diesmal von den Erfüllungsgehilfen seiner eigenen Ideologie. Der am Boden zerstörte Komponist schreibt Ernste Gesänge, Schlussbetrachtungen eines Gedemütigten. Eisler erlag am 6. September 1962 in Berlin einem Herzinfarkt. Eine Vielzahl hochwertiger, auch historischer Aufnahmen gibt es auf Berlin Classics zu hören. Unvergleichlich Eislers Deutung eigener Lieder: ein krächzendes Bündel reiner Energie. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 18.7.2012)