Immer wieder kritisieren Ärzte und Kinderschutzgruppen, dass die Amtsverschwiegenheit den Schutz von misshandelten Kindern erschwere. Betreuungskräfte in den Spitälern würden die Kinder oft nach der Entlassung aus den Augen verlieren. Eine weitere Betreuung und das Verhindern von Wiederholungsfällen seien mitunter schwierig bis unmöglich, weil entsprechende Daten von der Jugendwohlfahrt nicht an die Spitäler weitergegeben werden dürfen.

"Kinderschutz geht vor Datenschutz"

"Ich verstehe die Wünsche der Ärzte sehr gut", sagt Monika Pinterits von der Kinder- und Jugendanwaltschaft Wien. Für sie gehe Kinderschutz auf jeden Fall vor Datenschutz, aber man müsse beide je nach Fall genau abwägen. Für die Ärzte sei es wichtig zu erfahren, ob sie mit ihrem Missbrauchsverdacht richtig liegen, um Wiederholungsfälle zu vermeiden. Es dürfte aber schwierig werden, in Form eines Gesetzes festzuhalten, in welchen konkreten Fällen welche Daten weitergegeben werden dürfen.

Betroffene Ärzte fordern aber nicht nur eine Lockerung des Datenschutzes, sondern auch eine österreichweite Datenbank für die Kranken- und Therapiegeschichte von Missbrauchsopfern. Pinterits: "Derzeit wird oft Ärztehopping betrieben; viele Täter bringen die misshandelten Kinder jedes Mal in ein anderes Spital, um nur ja keinen Missbrauchsverdacht aufkommen zu lassen." Eine spitals- und bundesländerübergreifende Datenbank könnte hier Abhilfe schaffen, denn dann wären gehäufte Spitalsbesuche sofort ersichtlich.

Von einer Opferdatenbank hält Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ) nichts: "Wenn die Elektronische Gesundheitsakte (ELGA) kommt, haben die Ärzte wesentlich mehr Information, auch Zugriff auf Entlassungsbriefe. Ein Gewaltschutzregister erübrigt sich dann." Kinderanwältin Pinterits warnt jedoch vor Schnellschüssen: "ELGA könnte eine Lösung bringen, muss aber auf jeden Fall gut diskutiert werden. Eine solche Gesundheitsakte könnte nämlich auch nach hinten losgehen." Sie befürchtet, dass misshandelte Kinder dann gar nicht mehr ins Spital gebracht würden. Absolut befürworten würde Pinterits hingegen eine bessere Vernetzung der Jugendämter. 

"Begrenzter Informationsfluss von Jugendwohlfahrt"

"Wir verstehen die Anliegen der Ärzte", sagte Gerhard Aigner, Sektionschef im Gesundheitsministerium, im Ö1-"Morgenjournal" am Dienstag. Er spielt jedoch den Ball an das Familienministerium weiter, das zwar "grundsätzlich diskussionsbereit" sei, eine gesetzliche Änderung aber bisher abgelehnt habe - mit dem Argument des Datenschutzes.

Einer Aussendung zufolge könnte sich das Familienministerium nun "einen begrenzten Informationsfluss vom Jugendwohlfahrtsträger zum Arzt" vorstellen, wenn es für den Kindesschutz nötig sei. Einer Neuregelung müsste aber die Zustimmung aller Bundesländer vorausgehen, da diese für die ausführende Gesetzgebung, also Vollziehung, Finanzierung und Personal, zuständig sind.

Handlungsbedarf in Sachen Prävention besteht auf jeden Fall: Im Vorjahr gingen laut Bundeskriminalamt 2.175 Anzeigen wegen Körperverletzung, 229 Anzeigen wegen Quälens oder Vernachlässigens sowie 700 Anzeigen wegen sexuellen Missbrauchs an Kindern unter 14 Jahren ein. (fbay, derStandard.at, 17.7.2012)