Es ist schon ein Jammer. Da lässt sich die Währungsunion immer weiter in Richtung Schuldenunion treiben, und die Märkte vergelten das mit höheren Risikoprämien auf italienische und spanische Staatsanleihen. Selbst das Rückzugsgefecht von Angela Merkel, deren unnachgiebige Haltung landauf, landab als größter Stolperstein für eine Bewältigung der Eurokrise erkannt wurde und wird, kann nicht zur Entspannung beitragen. Was soll noch alles geschehen?

Der Internationale Währungsfonds hat eine Antwort für die Eurozone parat, die er am Montag in seinen Weltwirtschaftsausblick verpackte. Fiskalische Integration und Bankenunion samt gegenseitiger Einlagensicherung gehören ebenso dazu wie der tiefe Griff ins Waffenarsenal der Europäischen Zentralbank: Zinssenkungen, Aufkauf von Staatsanleihen, neue Liquiditätsspritzen für die Banken.

Diese Forderungen sind an und für sich nichts Neues, werden sie doch seit Jahren vom ökonomischen Mainstream erhoben und nur selten - wie zuletzt in einem offenen Brief deutschsprachiger Volkswirte - erwidert. Die USA, Großbritannien und Japan zeigen vor, wie man heutzutage in Krisenzeiten reagiert. "Helicopter Ben" steht als Synonym dafür: Der US-Notenbank-Chef Ben Bernanke ist der Überzeugung, dass in rezessiven Situationen mit deflationären Tendenzen Geld per Hubschrauber über das Land verschüttet werden soll.

Interessanterweise haben diese Ansichten trotz des mäßigen Erfolges der Helikopter-Einsätze nicht an Popularität verloren. Die Wirtschaft in den USA läuft zwar etwas besser als in Europa, doch mit dem Schuldenabbau wurde noch nicht einmal begonnen. Über die langfristigen Auswirkungen des Einsatzes der Notenpresse auf Ersparnisse und letztlich auch das Vertrauen in die Gesamtwirtschaft scheint man sich angesichts kurzfristiger Verschnaufpausen keinerlei Gedanken zu machen.

Interessant erscheint auch die Abfolge der Argumentationskette: Da grassiert eine sich gegenseitig verschärfende europäische Staatsschulden- und Bankenkrise, doch anstatt die Verbindlichkeiten abzubauen und Geldhäuser abzuwickeln und Aktionäre samt Gläubigern zur Kasse zu bitten, sollen frische Mittel über komplexe monetäre Kaskaden aus Zentralbank- und Rettungsschirm aufgetürmt werden. Mit Europas Exporterfolg Christine Lagarde an seiner Spitze will der Währungsfonds nicht nur der EZB Flügel verleihen, sondern auch der tieferen Integration der Währungsunion.

Die Französin hat sich beim letzten Gipfel ziemlich über die europäische Kleinstaaterei echauffiert. Sie könne das Wort Verfassungsgericht nicht mehr hören, soll sie auf deutsche Bedenken erwidert haben. Das illustriert den derzeitigen Umgang mit dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit. Europäische Verträge wurden erst gebrochen, dann notdürftig geflickt. Die Risiken der EZB und der Rettungsschirme gegenüber den Krisenstaaten gehen jetzt schon weit über eine Billion Euro hinaus. Eine derartige Haftungsgemeinschaft war nie vereinbart worden. Wenn sie jetzt übers Knie gebrochen wird, sollte man dafür dankbar sein, dass sich zumindest ein Verfassungsgericht ernsthaft mit ihrer Rechtmäßigkeit auseinandersetzt.

Das sollten vor allem jene Politiker anerkennen, die sich das "Primat der Politik über die Finanzmärkte" auf die Fahnen geheftet haben und mit ihrem Ja zur Schuldenunion das Gegenteil ihres Schlachtrufes bewirken. (Andreas Schnauder, DER STANDARD, 17.7.2012)