Bild nicht mehr verfügbar.

"Die Mutter muss reiner Körper sein, kein Gehirn. Sie muss alles geben, darf sich nicht aufhalten im Überlegen. Ihr Körper wird eingefordert durch das Kind."

Foto: REUTERS/Ilya Naymushin

Oder heul doch einfach, das hilft manchmal auch! Trink ein Glas Sekt! Was ist los mit dir? Du darfst keine Angst haben!

 

Die Mutter weint auch. In ihrem Kopf tobt ein boshafter Kreisel: Du kannst es nicht. Du bist nicht natürlich, wie die Stillgruppenfrau und die Hebamme verlangen. Nicht natürlich.

Mein Busen ist Schlafplatz und Essen. Alles ist von ihm bestimmt. Er dient der Zukunft, schafft eine Perspektive, ist die Verbindung des Kindes zur Welt. Ich dusche den Busen, knete ihn, ich putze, öle, presse, pumpe den Busen. Ich verhülle den Busen und ich entblöße ihn, hänge ihn in die Luft, in die Sonne, packe ihn wieder ein, wärme ihn mit dem Föhn. Ich will stillen, um später unabhängig zu sein. Ich will stillen der Stille wegen, denn das neue Leben ersteht aus Lärm.

Mein Körper muss dem kleinen Menschen Festigkeit bieten, Anhalt, Rundung. Ich schlafe kaum, erlebe das Morgengrauen, den Sonnenaufgang mit dem Kind im Arm. Folge dem Wechsel des Lichts am Himmelsausschnitt durchs Fenster. Meine inneren Bilder sind mit dem Gesicht, dem Körper des Kindes verbunden. Es folgt mir bis in den Traum, in dem ein Kinderwagen aus Hartleder, flach, mit mehreren Fächern, erscheint. Alte Handwerksarbeit. Ich kann ihn später, wenn das Kind sich alleine fortbewegt, als Aktenkoffer verwenden. Doch bloße Gedanken füttern keinen Mund. Können die Milch sogar blockieren. Weil Milch nicht bedingungslos fließt. Sagt die Hebamme. Sogar die Milch macht, was sie will. Das Kind saugt an verstopften, dick gefüllten Kanälen, aus denen nichts rinnt.

Massagen, Wärmewickel, Bäder, Entspannung. Empfiehlt die Hebamme. Oder heul doch einfach, das hilft manchmal auch! Ich zucke mit den Schultern. Trink ein Glas Bier, ein Glas Sekt! Was ist los mit dir? Du darfst keine Angst haben! Angst verursacht den Stau! Und wie werde ich sie los?

Sekt löst Angst. Trink, und die Milch wird fließen! Sagt die Stimme der Hebamme am Telefon. Ich trinke. Die Milch fließt spärlich. Die Befürchtung als stillende Mutter zu versagen wächst. Na dann hör Musik! Musik, die du liebst, die dich entspannt. Hör Mozart! Mozart geht immer! Ein paar Tage Mozart helfen mir kaum. Ich rufe die Hebamme wieder an.

Denk an Wasser, die Niagarafälle, denk an alles, was rinnt. Und als die Milch auch damit nicht kommt, bringt sie am nächsten Tag Hormone. Ich schnupfe Oxytocin. Doch die Angst, dass das Mittel nicht wirkt, ist stärker als das Spray. Du musst weiter probieren! Die Stimme der Hebamme am Telefon klingt genervt.

Am nächsten Tag bringt sie Brusthütchen. Auf den Busen geklebt, sollen sie Brustwarzen imitieren. Das Kind schmeckt Plastik. Das Saugen ist anstrengender als mit echten Warzen, und das Baby schläft zwischendurch erschöpft ein.

Alle zwei Stunden saugt das Kind und saugt eine Stunde. Die Tage sind zerschnitten in kleine dünne Scheiben. Ich vergesse zu essen in Sorge um das Kind. Doch je kaputter ich bin, desto weniger rinnt die Milch. Das Kind hat Hunger, es schreit. Je mehr das Kind schreit, desto erschöpfter wird die Mutter und desto weniger rinnt die Milch.

Die Stillgruppenfrau am Telefon ist optimistisch: Nicht aufgeben, das muss funktionieren! Die Natur irrt nie! Nimm die Brusthütchen fort! Das Plastik ist schlecht. Und wenn das Kind inzwischen verhungert? Kein Problem. Es wird überleben. Natur siegt.

Die Mutter sitzt am Sofa mit dem Kind und versucht zu stillen. Das Baby schreit, verzweifelt, findet die echte Warze nicht, dreht sich hungrig fort. Die Mutter weint auch. In ihrem Kopf tobt ein boshafter Kreisel: Du kannst es nicht. Du bist nicht natürlich, wie die Stillgruppenfrau und die Hebamme verlangen. Nicht natürlich. Sich darüber hinwegdenken hilft dem Kind nicht. Was ist los?

Die Mutter muss reiner Körper sein, kein Gehirn. Sie muss alles geben, darf sich nicht aufhalten im Überlegen. Ihr Körper wird eingefordert durch das Kind. Was Mutter zu sein bedeutet, kann die Seite des Wissens nie zureichend bestimmen. Die Trägheit, die das Denken abwehren soll - der Milchfluss und die Freude daran wollen sich sonst nicht einstellen -, lässt sich mit einem Sinn und einem Begründen nie verbinden. Und es scheint unmöglich, eine Beziehung zwischen Mutter und Kind zu denken, die nicht von anderen vorher bestimmt war und dadurch Norm. Jenseits der Natur, vertreten von der Hebamme, jenseits der Technik, vertreten vom Krankenhaus, jenseits der Familienpolitik und der Religion finde ich keinen Raum für mich mit meinem Kind. Und die Milch bleibt aus. Die Madonna, aus deren Brüsten Milch spritzt, bin ich jedenfalls nicht.

Obwohl das Stillen nicht gut -genug funktioniert, darf ich kein Milchpulver nehmen. Sagt die Hebamme. Milchpulver ist schlecht. Weil Flaschennuckel sind schlecht. Auch Schnuller sind schlecht. Stundenlang stehe ich mit dem Baby und stecke ihm den kleinen Finger in den Mund, an dem es saugt, damit es nicht schreit. Das Baby verliert an Gewicht. Tag für Tag bringt es weniger auf die Waage. Sein Körper leidet unter der Strenge. In äußerster Not gibt die Hebamme das Experiment "Natürliches Stillen" auf und verrät endlich ein Geheimnis, von dem in keinem meiner Ratgeberbücher je etwas stand.

Du musst pumpen!

Ich schließe eine Plastikflasche an meine Brüste, während die Maschine an mir saugt. Die Milch tröpfelt vorerst, spritzt sodann in starken Strahlen und das Kind trinkt die Flasche gierig aus. Der Tag ist nun in noch dünnere Schnittchen zerteilt. Zur Arbeit des Nährens kommt das Pumpen. Rechtzeitig und regelmäßig, damit die Milch nicht versiegt. Flaschen und Sauger müssen sterilisiert, ausgekocht werden, um Infektionen zu verhindern. Ich werde zur Fabrik, um mein Kind bestmöglich zu ernähren.

Ich taumle durch den Tag

Die Stillgruppenleiterin ist allerdings dagegen. Mit der Pumpe wirst du die Milch verlieren. Du gibst dich einer Illusion hin. Behauptet die Stimme am Telefon. Der Speichel des Babys muss sich mit den feinen Milchdrüsenöffnungen verbinden, das regt die Produktion an. Was soll ich tun? Ich fürchte um das Baby. Leg das Kind zwischendurch an. Zwischen dem Pumpen. Es soll den Busen einspeicheln. Ich gebe mein Versprechen, lege den Hörer auf. Betrachte das Kind an meinen Körper, wünsche mir das Glück, das die Abbildung auf der Brustpumpenpackung mir verspricht. Eine lächelnde Blondine sitzt entspannt im Wohnzimmer, einen Plastiktrichter vorm Busen. Dabei kommt zum Pumpen noch die Peinlichkeit. Ich kann keinen Besuch empfangen, während ich pumpe. Und ich pumpe ständig.

Auf den Fotos mit Mutter-Kind-Motiven bildet mein Körper nun den Hintergrund, die Haltevorrichtung, eine Unterlage. Das Baby ist als Hauptfigur im Zentrum. Ich bin Haarsträhnen, Gesichtsränder, Hände, Oberkörper mit Brüsten, Schultern. Nichts sonst.

Ich taumle durch Tage und Nächte. Ich pumpe Milch, ich friere sie ein. Und gewinne damit freie Zeit, in der ich fortgehen kann. Ohne das Kind. Der Vater stillt das Kind inzwischen mit der Flasche. In diesen freien Momenten suche ich nach Orten, an denen ich schreiben kann, ein paar Sätze, ein paar Worte, um mich als etwas zu fühlen, das ich früher war, vor dem Kind. Zu Hause lässt das Baby mir keine Zeit zu verschnaufen. Immer habe ich zu wenig Raum, um den Bleistift zu nehmen, einen Satz zu finden, der beschriebe, was geschieht. Und das ist wichtig so, wäre nicht anders möglich, wäre die Abschiebung des Kindes. Also wird zwangsläufig das Schreiben verschoben. Das Baby vertreibt die Schrift. Die Schrift vertreibt das Kind. Sie schließen sich aus. Das Baby beherrscht die Wohnung. Und gehe ich mit ihm hinaus, gelten die Blicke der Passanten nur ihm, nicht mir. Ich bin die Trägerin, die Wagenschieberin, die Stillerin, die Versagerin, wenn es in der Öffentlichkeit schreit. Der Mutter-Kind-Pass ist meine Identität. Während der Schwangerschaft werden hier die Messwerte meines Körpers eingetragen; nach der Geburt die Körpergröße, Gewicht, Kopfumfang und Entwicklungsstufen des Kindes. Ich bin aufgegangen in ihm. Wir sind die Einwohner von Mama-Land. Väter können da nicht rein.

Im Haus meiner Herkunft bin ich nun - da bekehrt zum Muttersein - plötzlich besser angesehen. Ich bin nicht mehr die Fremde, denn ab jetzt sprechen sie mit mir über das Kind. Über meinen Körper ist mir gelungen, den anderen Frauen näher zu sein. Trotzdem muss ich mir alles selbst verdienen, denn für Autorinnen gibt es weder Mutterschutz noch Muttergeld. Ich gelte als freie Unternehmerin und schreibe Rezensionen. Aber wann soll ich lesen? Ich schiebe dicke Bücher zwischen mich und das Kind. Während ich es schaukle, lese ich Yourcenar, Ndiaye, Bejart, verrenke mich beim Umblättern. Sobald das Baby sitzen kann, versucht es die schweren Brocken zu betatschen. Ich existiere nur als Paket: Mutterkörper und Buch. Gierig sauge ich die Worte ein, pumpe erfundene aus mir heraus. (Sabine Scholl, Album, DER STANDARD, 14./15.7.2012)