Akt am Klavier: Benoît Lachambre und Clara Furey.

Foto: MichaelSlobodian

Es geht auch anders. Während Impulstanz in den vergangenen Jahren mit großen Open-Air-Events im Museumsquartier eröffnete - etwa mit Terence Lewis, Wim Vandekeybus oder Roysten Abel -, begann das aktuelle Festival mit zwei choreografischen Konzerten im kleineren Format: zum einen von Benoît Lachambre mit Clara Furey im Odeon und zum anderen von Ivo Dimchev im Schauspielhaus.

Diese Wende zum Festivalstart mit Understatement brachte gleich eine große Entdeckung: das kanadische Multitalent Clara Furey. Gemeinsam mit Lachambre hat die 29-jährige Sängerin, Schauspielerin, Tänzerin und Autorin das Duett Chutes Incandescentes erarbeitet und erst vergangenen Mai in Montreal uraufgeführt.

Benoît Lachambre (52), einer der wichtigsten kanadischen Tanzschaffenden, ist als idealer Kooperationspartner bekannt. Der charismatische Performer und experimentierfreudige Choreograf kennt keine Eitelkeit, und niemals benutzt er seine Partner als Verstärker der eigenen Wirkung. Also findet sich Furey in der komplexen Zusammenarbeit mit Lachambre spielend zurecht. Dieser hat eine choreografische Struktur erarbeitet, in der er als Bühnenpräsenz Fureys ausuferndes Talent begleitet - aber eben nicht als Gegenpol. So löst das Stück ein, was seine Ankündigung verspricht: ein Solo für zwei Körper.

Furey und Lachambre entwickeln auf der Bühne eine intensive und intime Verbindung zueinander. Ganz ähnlich übrigens wie Maria Hassabi und Robert Steijn in ihrem Duett Robert and Maria, das im Vorjahr bei Impulstanz zu sehen war. Oder verwandt mit der Arbeit What they are instead of... von Jared Gradinger und Angela Schubot. Die beiden jungen Choreografen aus Berlin sind bereits bei Imagetanz im Brut- Theater aufgetreten und kommen jetzt im Sommer wieder nach Wien. Drei unterschiedlich formulierte, aber ähnlich konsequente Versuche, das Ego zu verabschieden, ineinander aufzugehen und aus zwei Kräften eine Stärke werden zu lassen.

In Chutes Incandescentes kommt noch eine andere Ebene dazu: der Versuch, indische und westliche Kulturelemente miteinander zu verschmelzen. Daraus entsteht etwas ganz Eigenes. Clara Furey reißt ihren Gesang immer wieder auseinander, und wenn sie mit Lachambre zusammen singt, werden die dabei entstehenden Entgleisungen zu Sollbruchstellen. Mit dem Piano aber ist Furey wie verwachsen. Sie spielt mit dem Rücken zur Klaviatur, verbiegt sich, tanzt und singt ihre aus dem indischen Nationalepos Ramayana abgeleiteten Texte.

Auf der Bühne entsteht eine wachsende erotische Spannung, ebenso explizit wie jene bei Gradinger und Schubot. Ab und zu bricht Lachambre aus und erzählt von Traumsequenzen, während Furey ihn dezent auf dem Klavier begleitet. An wenigen Stellen knickt diese Intensität aber unter dem eigenen Gewicht und dem Fehlen jeglicher Ironie ein.

Das kann von Ivo Dimchevs Auftritt nicht behauptet werden. Die von ihm hochgezüchtete halbnackte und eine hennarote Perücke tragende Sängerfigur winselt und wimmert, zieht ihre Stimme durch ein irritierend schönes Fiasko: ein Trümmerfeld aus Countertenor- und Diseusen-Elementen. Zusammen mit dem Musiker Emilian Gatsov improvisiert der in Belgien lebende Tänzer und Performer, der unter anderem durch seine Zusammenarbeit mit dem österreichischen Künstler Franz West bekannt geworden ist, ein Concerto, das in keiner seiner Aufführungen gleich ist.

Wenn Dimchev darin etwa die Arie Summertime aus George Gershwins Porgy and Bess zerlegt, bleibt von dem Zauber des guten alten Ohrwurms nicht mehr viel übrig. Dieses Concerto kommt als spöttische Abrechnung mit der Konsumierbarkeit von Klanggebilden daher, aber auch wie eine Verkörperung der Ekstase, in die Musik den Menschen zu versetzen vermag. Ein Grenzgang. Aber ein gelungener. (Helmut Ploebst, DER STANDARD, 14./15.7.2012)