ICA-Chefin Martina Kaller: Maya-Zahl 52.

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Wien - Angesichts der "multiplen Krise", die Europa und die USA erfasst habe, fordern Wissenschafter eine "große Transformation" zu einer nachhaltigen, sozialen und klimaverträglichen Zukunft. Dies sagte der Politologe Ulrich Brand am Mittwoch bei einer Diskussion in Wien, bei der auch eine Alternative präsentiert wurde: Im Vorfeld des am Sonntag beginnenden Wiener Amerikanistenkongresses berichtete der bolivianische Soziologe Raúl Prada, wie Indigene in seinem Land das Recht auf ein - einfacheres - Leben im Einklang mit der Natur in die neue Verfassung reklamierten.

Am Dienstag wird der Ecuadorianer Alberto Acosta, der Vordenker dieses Prinzips vom "Guten Leben", vor dem 54. Internationalen Kongress der Amerikanisten (ICA) sprechen, zu dessen 470 Symposien sich 4500 Teilnehmer angemeldet haben. "Damit ist 54 ICA einer der größten Kongresse im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften, die je in Österreich stattgefunden haben", meint Kongresspräsidentin Martina Kaller von der Uni Wien.

Das "Schaffen von Dialogen" steht im Zentrum des Treffens - der Erfahrungsaustausch zwischen Nord und Süd, aber auch zwischen den Forschungsdisziplinen. Diese reichen von den klassischen Feldern Archäologie, Anthropologie und Linguistik bis zu Gender-Studies und den Menschenrechten. Ein Schwerpunkt ist dem zweimal aus Österreich vertriebenen Ethnologen Friedrich Katz gewidmet.

Kaller erinnert daran, dass der Kongress schon zweimal - 1908 und 1960 - in Wien stattfand. Die jeweils dazwischenliegenden 52 Jahre entsprächen genau einem Zyklus des Maya-Kalenders, von dem heuer so viel die Rede war.

1908 hörten in Wien knapp 400 Teilnehmer Expeditionsberichte aus Brasilien und Forderungen nach der Erhaltung indigener Sprachen. Anschließend gab es eine Exkursion nach Bosnien-Herzegowina, das von Österreich-Ungarn noch im selben Jahr annektiert wurde.

Der Amerikanistenkongress des Jahres 1960, als das Wiener Institut für Völkerkunde noch neben den Lipizzanern residierte, war laut Zeugen der wissenschaftlichen Isolation Österreichs nach 1945 der Beginn für die Kontaktaufnahme zu internationalen Kolleginnen und Kollegen.

Heuer kommt mehr als die Hälfte der Teilnehmer aus Lateinamerika, das sich in der weltweiten Krise bisher gut hält und wo zugleich Alternativen zum Raubkapitalismus erprobt werden.

Der Soziologe Raúl Prada deutete mögliche Felder heftiger Auseinandersetzungen an. Das Beispiel Boliviens habe gezeigt, dass es nicht reiche, wenn ein indigener Präsident regiere, wenn er dann, über die Köpfe der Indigenen hinweg, Vereinbarungen mit Bergbaukonzernen treffe. Nicht nur die Wirtschaft, auch die Idee des Staates müsse in Richtung Partizipation neu überdacht werden. (Erhard Stackl /DER STANDARD, 13.7.2012)