Ägyptens Verfassungsgerichtshof hat Mohammed Morsi sein "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass"-Spiel vermasselt. Morsi und die Seinen wollten Muskeln zeigen, aber nicht zuschlagen: Dass das von ihm wieder eingesetzte Parlament am Dienstag als einzigen Tagesordnungspunkt seine eigene Causa an ein Kassationsgericht verwies, war ein Schritt weg von der Front. Aber nun hat Morsi von den Verfassungsrichtern selbst eins auf die Nase bekommen: Sie annullierten das Dekret, mit dem er die Parlamentsauflösung annulliert hatte.

Das könnte unglücklicherweise wieder eine Gegenreaktion herausfordern - auch wenn sich Morsi am Mittwoch eher besonnen zeigte: Die Anwälte der Muslimbrüder, aus deren Reihen Morsi stammt, gehen jedoch pikanterweise mit einem Spruch ebendieses Verfassungsgerichts hausieren, das 1990 die Entscheidungen des ägyptischen Präsidenten als höchste Instanz bezeichnete. Die Ironie, dass sie vom "Willen des Volkes" reden und gleichzeitig Mubarak-Regeln zitieren, scheint den Islamisten zu entgehen.

Der Juristenstreit kann im Moment kaum gelöst werden. Die vernünftige politische Lösung wäre, den Konflikt einzufrieren, ohne dass jemand völlig zu Kreuze kriechen muss, und - wie es sowohl Morsis Dekret vorsieht als auch der Militärrat will - nach der Verfassungsgebung rasch Neuwahlen abzuhalten. Und diese Verfassung liefert ja auch erst die "Job-Description" des Präsidenten. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 12.7.2012)