Dieses Foto auf Facebook ließ wohl bei vielen Menschen sentimentale Gefühle aufkommen.

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Und viele hatten wohl dieses Bild im Kopf - auch wenn Otto Wanz darauf keine Telefonbücher zerreißt.

Foto: APA

Ich glaube, dass Otto Wanz sich wirklich gefreut hat. Jedenfalls klang das so. "Schön, dass heute noch wer an mich denkt", sagte Big Otto und klang gerührt. Wobei: Ich tue mir schwer, mir Otto Wanz "gerührt" vorzustellen.

Aber der Reihe nach. Vor wenigen Tagen poppte auf Facebook ein Bild auf: eine Wirtshaustafel. Statt des Tagesmenüs stand da: "Heute 18 Uhr: Telefonbuchzerreißen mit Otto Wanz". Darunter ein Pfeil nach rechts.

Derlei Zeit- und Ortsangaben sind ein wenig vage. Aber die Vorstellung, Otto Wanz beim Zerstören von Telefonbüchern zusehen zu dürfen, klang verlockend. Nicht nur für mich. Ich war nicht der Einzige, der auf Facebook nach dem Wann und Wo fragte: Der Name Wanz dürfte etliche Retro-Glocken zum Läuten gebracht haben.

Steirisches Bröckerl

Vielleicht sind Sie ja zu jung, um Otto Wanz zu kennen. Schließlich ist der Steirer mittlerweile 69. Als er seine Karriere als Wrestler 1990 beendete, sagte man in Österreich meist noch "Freistilringen" oder "Catchen". Legenden wie Hulk Hogan kannte hier niemand.

Wer zum Catchen ging, genoss nicht nur die hübsch anzusehende Brutal-Choreografie der dicken Männer im Ring am Heumarkt. Auch die Sprache, der sich gleich neben dem Wiener Konzertverein manche sonst "bessere" Dame bediente, war großes Kino: "Reiß eam de Brust auf und scheiß eam ins Herz - und zum Frühstück friss i seine Eia!" Ein Klassiker aus der Zeit vor PC-Langeweile-Floskeln und globalem Sprachtaliban-Weicheisprech.

Kein Beau

Otto Wanz war am Heumarkt der Star. 1,89 Meter groß, 175 Kilo schwer. Das Gegenteil der gestylten Kabelkanal-Wrestler von heute. Wanz war kein Beau. Er schwitzte. Er trug - glaube ich - klassische Ringer-Dressen. Unbeschreibbare und unbeschreibliche Trikots, die aussehen, als gehörten sie siebenjährigen Ballett-Elevinnen. Nur steckte halt ein 175-Kilo-Koloss drin. Was an Wanz sexy war, habe ich nie kapiert. Aber auch die verwöhnten Sacre-Coeur-Gören meines (Schul-)Umfelds sahen sich gern und kreischend die Heumarkt-Schlägereien an.

Doch Otto Wanz tat noch etwas: Er zerriss Telefonbücher. Wo immer er auftrat, kam jemand mit einer Palette Telefonbücher: A-H, I-Q, R-Z und Branchenverzeichnis. Nach 20 Sekunden Gespräch in der legendären TV-Show "Sport am Montag" stand Big Otto auf. Darauf hatten alle gewartet: Er nahm ein Buch zwischen seine Pranken - und riss es entzwei. Ritsch. Noch eins. Ratsch. Noch eins. Ritsch.

Wie eine Vernichtung

Otto Wanz brüllte, ächzte und stöhnte. Er halbierte die Bücher immer beim Rücken beginnend - mit solch einer Intensität, als würde er sie zerstören wollen. Vernichten. Krieg führen. Und alles, was im und wofür ein Telefonbuch stand, terminieren: Binnen Minuten stand der dicke Riese in einem Berg zerstörter Telefonbücher. Wanz schnaufte. Alle waren glücklich.

Wieso er das tat? Fragt man einen Diskuswerfer nach dem tieferen Sinn seines Tuns? Eben.

Rebellischer Befreiungsakt?

Vielleicht war es neben der Kraftmeierei ja auch ein - stellvertretender - Akt der Befreiung: In der Zeit von Wahlscheibentelefon und Viertelanschluss war das Telefonbuch das Generalnachschlagewerk nach allem und jedem. Sogar Bruno Kreiskys Privatnummer stand drin - und eine Geheimnummer war fast subversiv. Man fühlte sich damit wie ein Rebell: Möglich, dass Big Ottos Telefonbuchvernichtung da unbewusst ein naives Bedürfnis nach Re-Anonymisierung traf.

Damals dachte niemand bewusst so. Und mit der Herold-CD und - bald darauf - Google und Co. verschwanden die Telefonbücher (ich weiß, es gibt sie noch) und damit das Hochamt des Zerreißens. Otto Wanz organisierte zwar noch diverse Kraftlackel-Events, verschwand aber irgendwann vom Society-Radar.

Ein Mail ins Daten-Nirvana

Bis vor wenigen Tagen das Bild auftauchte. Blöderweise ließ es sich nicht verorten. Es hieß, Wanz sei im Museumsquartier in Wien aufgetreten. Doch die Spur verlief im Sand. Also googelte ich - und schrieb am Freitag ein Mail. Vermutlich ins Nirvana, dachte ich. Doch am Montag klingelte das Handy: "Wanz hier. Sie haben mir geschrieben."

Ich fragte nach dem Schild. Stille. "Das Schild muss uralt sein. Ich mach das seit Jahren nicht mehr." Ich antwortete: "Schade. Ich glaube, das würde vielen Leuten Freude machen. Haben Sie je darüber nachgedacht ..." Ein Seufzer: "Das geht leider nicht. Seit einem Motorradunfall kann ich die rechte Hand nicht mehr heben. Die ist praktisch gelähmt. Das ist zehn Jahre her."

Ich entschuldigte mich. "Das wusste ich nicht." Wanz' Stimme wurde weich: "Da haben wirklich Leute geschrieben, dass sie das gern wieder sehen würden? Wissen Sie, es ist wirklich schön zu hören, dass heute noch wer an mich denkt." (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 11.7.2012)