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Faruk Loğoğlu hat mal ausgeteilt.

Foto: epa/stephen jaffe

Am Ballhausplatz hat man es wohl bemerkt, ein wenig geseufzt vielleicht, gedankenverloren in der feinen Porzellantasse gerührt: Die Vierer-Bande ist dahin. Guido Westerwelle - von Beginn an ein unsicherer Bundesgenosse - ist aus dem Grüppchen der Türkeibremser ausgeschieden; die Syrienkrise und die Rolle, die Ankara im sich abzeichnenden Endspiel um Bashar al-Assad übernimmt, haben am Ende wohl den Ausschlag gegeben. Auch Frankreich ist eher draußen seit der Abwahl des Türkei-Antipathikers Sarkozy. Bleiben noch die aufrechten Holländer und die Österreicher, wobei es in Wahrheit weniger um den Ballhausplatz als um die Herrengasse geht, nicht so sehr um das Außen- als um das Innenministerium, welches einen EU-Beitritt der Türkei von der langen Bank gern gleich ins Aus befördern würde, wenn es könnte.

16 Außenminister der EU haben dieser Tage ihren Namen unter einen Gastbeitrag in der offiziösen Internetzeitung EUoberserver.com setzen lassen. Der Titel: "Die EU und die Türkei: Gemeinsam stärker", die Botschaft: Ein neues "Momentum" muss her in den Beitrittsverhandlungen mit der Türkei in den nächsten Monaten. Ein Rad greift da in das andere, liest man: Handel-Wirtschaft-Energie-Demokratisierung-Nachbarn-Syrien-Europa-Weltwirtschaft-undwiedervonvorne. Das kennt man auch alles längst. Die Schrift der 16 Minister, natürlich als große Parallelaktion zur Übernahme der EU-Präsidentschaft der Republik Zypern am 1. Juli geplant, soll die Regierung in Ankara bei der Stange halten. Sechs Monate Zypern-EU-Präsidentschaft gehen auch vorbei, steht zwischen den Zeilen. In den großen energiepolitischen Fragen bitte Umsicht wahren (das alte Nabucco-Projekt hat die türkische Regierung im Verein mit dem aserbaidschanischen Bruderstaat gerade gekilled und durch ein Neues ersetzt; so viel zur "Türkei als Energiedrehscheibe für Europa"). Beim Thema Visa-Liberalisierung nicht die Nerven verlieren, die Lösung kommt., heißt es Stärkere Wirtschaftsbeziehungen der unsicher gewordenen Eurozone mit der Türkei generieren mehr Wachstum, steht auch im Subtext. Die Türkei ist viel zu groß und zu nützlich, als dass sie von den Europäern noch übersehen werden könnte.

Das hört man in Ankara natürlich gern. Den Beitrag der 16 EU-Außenminister feierten Regierung und treue Medien als Erfolg. Dann kam Faruk Loğoğlu (Lo-o-lu) und begann alle anzupatzen.

Wie die EU-Außenminister nur zu dem Schluss kommen könnten, die Türkei sei ein "inspirierendes Beispiel eines säkularen und demokratischen Landes", schrieb Loğoğlu, ehemaliger Außenstaatssekretär, Botschafter in Washington und heute Abgeordneter, außenpolitischer Sprecher der Oppositionspartei CHP und einer ihrer stellvertretenden Vorsitzenden, Anfang Juli nun seinerseits in einem Brief an die 16 Minister. Zurückhaltung legt sich der einstige Karrierediplomat nicht mehr auf. So lernen die Außenminister in seinem Brief:

"Today, democracy exists in Turkey largely in the abstract. The executive controls both the legislative and the judicial branches of government. Freedoms of expression and of the press are severely restricted. All opposition is silenced. Those who raise their voices are put in jail."

Loğoğlus Intervention ist insofern bedeutsam, als es sie überhaupt gibt: Erst seit dem erzwungenen Führungswechsel an der Spitze der CHP - ein Sex-Video, das in Umlauf gebracht wurde, führte zum Rücktritt von Deniz Baykal und der Wahl von Kemal Kilicdaroglu - interessiert sich die Republikanische Volkspartei für die EU und taucht auch in Brüssel und Straßburg auf. Auf die kleinen Unebenheiten im Demokratisierungsprozess der Türkei ging die Außenministerbrigade in ihrer gemeinsamen Erklärung allerdings schon auch ein. Ein wenig.

Der Brief des CHP-Außenpolitikers wurde natürlich flugs durch eine Stellungnahme der regierenden AKP beantwortet: Schmierkampagne, Verschwörung, Beweis der eigenen Unzulänglichkeit. Wir lesen im Brief des Ömer Çelik, außenpolitischer Sprecher der AKP:

"The "letter of complaint" composed by Mr Faruk Loğoğlu, vice Chairman of CHP responsible for Foreign Affairs as a response to the article "The EU and Turkey: Stronger together" penned by 16 distinguished FMs of EU depicting Turkey's high prestige reveals one of the fundamental problems in Turkish politics: the lack of a serious and credible opposition."

Und so kam es, dass die große außenpolitische Türkei-Erklärung der Außenminister im innenpolitischen Häcksler endete. Wahrscheinlich hätten sie sich die nun schon viel benutzte Formel vom "inspirierenden Beispiel" der Türkei sparen sollen. Manchmal ist weniger mehr. Und hier ist die aktuelle Liste der Türkeifreunde in der EU: Bulgarien, Estland, Finnland, Großbritannien, Deutschland, Italien, Lettland, Litauen, Polen, Portugal, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Spanien, Schweden und Ungarn.