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Warum Rinder über den sechsten Sinn verfügen, ist nicht ganz klar.

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Bei Forellen dürfte er in der Nasenschleimhaut stecken.

Foto: Engbretson, Eric / U.S. Fish and Wildlife Service

Nathaniel Edelman untersucht am Magnetoskop, einem von zwei existierenden Geräten dieser Art weltweit, ob sich Zellen bei einem rotierendem Magnetfeld mitbewegen.

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"Es ist wie die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen", sagt David Keays. "Nur ein bisschen komplizierter." Das liegt zum einen daran, dass man gar nicht weiß, wie die gesuchte Nadel genau aussieht. Zum anderen gäbe es noch einige andere Objekte, die den Nadeln ähneln.

Die Rede ist von den "Kompassnadeln" im Kopf vieler Tiere, die sich am Magnetfeld der Erde orientieren können. Genau darüber forscht der Neurobiologe seit Ende 2008 am Institut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien. Und dem Forscher, der den weiten Weg von Australien nach Wien fand, ist bei dieser mühsamen Suche vor einigen Monaten ein echter Fortschritt gelungen, über den sich auch Sir Karl Popper gefreut hätte: Gemeinsam mit seinem Team konnte Keays nach fast drei Jahren Arbeit zeigen, dass jene Zellen, die man bis jetzt für magnetische Sinneszellen hielt, nicht die richtigen waren.

Irritierte Rotkehlchen

Doch alles der Reihe nach: Dass es einen Magnetsinn bei Tieren geben muss, ist dank der Forschungen des deutschen Zoologen Wolfgang Wiltschko seit ziemlich genau 50 Jahren bekannt. Witschko schirmte einen Kellerraum vom Erdmagnetfeld ab und setzte Rotkehlchen einem anderen, ähnlich schwachen Magnetfeld aus. Und siehe da: Die Vögel ließen sich dadurch wirklich beeinflussen.

Der Forscher der Uni Frankfurt stieß mit der Entdeckung eines neuen, sechsten Sinns zunächst auf Ablehnung. Erst 1972 gelang es ihm mit einer Publikation im Fachblatt Science, den Magnetsinn als wissenschaftliche Tatsache zu etablieren. Heute ist er für Dutzende Tierarten nachgewiesen, wenn auch nicht in allen Fällen unumstritten: Bienen und einige andere Insekten müssen darüber ebenso verfügen wie Zugvögel. Auch Meeresschildkröten und viele Fische navigieren damit.

Für einiges Aufsehen sorgte vor ein paar Jahren die Entdeckung, dass sich auch Rinder und Hirsche an der Nord-Süd-Achse des Magnetfelds ausrichten dürften. Forscher um Hynek Burda von der Universität Duisburg-Essen werteten für die Studie unter anderem Bilder von Google Earth aus. Die Aufnahmen zeigten, dass zwei Drittel der Tiere in Nord-Süd-Richtung standen oder lagen und dass Stromleitungen die Kühe bei ihrer Orientierung verwirrten.

So offensichtlich es ist, dass der Magnetsinn existiert, so unklar ist, wie er funktioniert. Während die Wissenschaft über das Hören, Riechen, Schmecken, Tasten und Sehen ziemlich gut Bescheid weiß, tappt sie beim sechsten Sinn immer noch ziemlich im Dunkeln. Immerhin weiß man über das Magnetfeld der Erde bestens Bescheid: Die Feldlinien treten im rechten Winkel aus dem Südpol aus und ganz nahe am Nordpol - ebenfalls mit einem Winkel von 90 Grad - wieder ein. Dazwischen nimmt die Inklination, also der Winkel der Magnetlinien zur Erde, zum Äquator hin ab. Und anhand der Inklination dürften die Zugvögel wissen, auf welchem Breitengrad sie sich gerade befinden.

Wie aber hat man sich das GPS im Kopf der Tiere vorzustellen? Bisher ging man davon aus, dass ein Protein in der Netzhaut den Vögeln helfen dürfte, das Magnetfeld wahrzunehmen. Andererseits behaupteten deutsche Forscher vor Jahren, dass es im Oberschnabel eisenhaltige blaue Nervenzellen gibt, die quasi wie Kompassnadeln wirken.

Genau nach diesen blauen Zellen hat Keays mit seinem jungen Team fieberhaft gesucht. Dazu fertigten sie 250.000 feinste Schnitte von Taubenschnäbeln an und legten sie unter das Mikroskop. Seltsamerweise fanden sie große Unterschiede zwischen den Tieren. "Nummer 199 brachte dann die Lösung", erzählt Keays und zeigt am Mikroskop den entsprechenden Schnitt: "Dieses Tier hatte Tausende dieser blauen Zellen - und zum Glück für uns eine Verletzung am Schnabel."

Damit wurde für die Forscher offensichtlich, dass es sich bei den blauen Zellen nicht um die Kompasszellen handeln kann, sondern um Immunzellen, die Infektionen bekämpfen. "Diese blauen Zellen sahen nur so aus wie die gesuchten Stecknadeln im Heuhaufen", sagt Keays, der sein im Grunde frustrierendes Forschungsergebnis vor genau drei Monaten im Wissenschaftsmagazin Nature veröffentlichen konnte.

Eine Kopie der ersten Seite dieses Texts hängt mit Tixo aufgeklebt an einer Wand des Labors. Feierlich eingerahmt hingegen ist eine Kopie jener wütenden E-Mail, die Keays von jenem Forscher erhielt, der die " blauen Zellen" entdeckt hatte und nun durch Keays' Forschungen widerlegt wurde: So sehen sie also aus, die mühsamen Fortschritte und kleinen Triumphe der Wissenschaft.

Doch wie macht Keays jetzt weiter? Gibt es neue Spuren der magnetischen Sinneszellen, die so etwas wie den heilige Gral der Magnetsinnforscher darstellen?

Wir betreten eine kleine dunkle Kammer, in der Keays' Mitarbeiter Nathaniel Edelman an einem Gerät sitzt, das auf den ersten Blick wie ein Mikroskop aussieht. In Wahrheit nennt sich das Ding Magnetoskop - und ist eines von zwei solcher Geräte weltweit. "Damit kann man Zellen unter einem rotierenden Magnetfeld beobachten", erklärt Keays. "Wenn sich die Zellen mit dem Magnetfeld mitbewegen, dann könnten das die gesuchten magnetischen Sinneszellen sein." Und wie es scheint, dürften der Neurobiologe und seine Mitarbeiter fündig geworden sein. Tatsächlich kreist da eine Zelle am Bildschirm parallel zum Magnetfeld.

Fund im Forellennasenloch

Der Erfinder dieses Geräts ist der deutsche Geophysiker Michael Winklhofer von der Universität München, wo auch das erste Magnetoskop steht. Und Winklhofers Team gelang damit am Montag im Fachmagazin PNAS tatsächlich der erste publizierte Nachweis solcher Zellen: Die Forscher entdeckten in der Riechschleimhaut von Regenbogenforellen Zellen, die Magnetit enthalten und sich deshalb mit dem Magnetfeld mitdrehen.

Von der Forelle, die mit dem weit ziehenden Lachs eng verwandt ist, kann man annehmen, dass sie über solche Zellen verfügt. Die Suche nach der magnetischen Nadel im Heuhaufen verlief indes abermals äußerst mühsam: Eine von 10.000 Zellen, oder einfacher: rund zehn pro Forellennasenloch drehten sich und dürften die gesuchten magnetischen Sinneszellen sein.

Das freilich muss erst noch bewiesen werden. Und zudem bleibt zu erforschen, wie der magnetische Impuls von den Nervenzellen verarbeitet wird. Ohne Zweifel ist Winklhofer mit seiner Entdeckung ein wichtiger Durchbruch gelungen. Denn mit der Identifikation der Zellen kann man nun auch ihr Genstruktur erforschen - und sie womöglich auch mit dem menschlichen Genom vergleichen.

Denn so wie Rinder könnten auch wir Menschen über den Magnetsinn und magnetische Zellen verfügen, wie Winklhofer erklärt.

Der Forscher hält es jedenfalls für gut möglich, dass nicht nur Tiere durch die von Menschenhand erzeugten Magnetfelder irritiert werden, sondern auch wir selbst: "Magnetzellen im Körper würden die Sensibilität etwa für Elektrosmog erhöhen - und das Leiden bestimmter Menschen erklären können." (Klaus Taschwer, DER STANDARD, 11.7.2012)