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Die Bubenburg im Zillertal gilt als Paradebeispiel für ein konfessionelles Heim. Der umfassende Bestand an Zöglingsakten bietet sich für weitere Studien an.

Foto: APA/Mühlanger

Innsbruck/Bregenz - Wie die Geschichte der Tiroler und Vorarlberger Erziehungsheime aufgearbeitet wird, ist noch ungewiss. Bis Herbst wollen sich die politisch Verantwortlichen beider Länder Zeit geben, die Vorstudie vom Michaela Ralser zur Geschichte der Tiroler und Vorarlberger Erziehungsheime und Fürsorgeregime der 2. Republik zu diskutieren. Dies kündigten der Tiroler Landesrat Gerhard Reheis (SP) und Landesrätin Greti Schmid (VP) aus Vorarlberg bei der Präsentation der Vorstudie am Montag in Innsbruck an. "Ich will auf jeden Fall eine lückenlose Aufarbeitung", stellt Greti Schmid klar. Gemeinsam mit Tirol will sie Angebote prüfen, Südtirol und Salzburg, von wo Kinder nach Tirol und Vorarlberg geschickt wurden, mit ins Boot holen.

Ralser und ihre Mitautorinnen schlagen als Fortsetzung eine gemeinsame Studie der beiden Länder und vier Detailstudien zu exemplarischen Heimen vor. In Vorarlberg soll die frühere Fürsorgeerziehungsanstalt Jagdberg erforscht werden, deren Geschichte ins 19. Jahrhundert zurückreicht. Der komplett erhaltene Aktenbestand sei eine "einzigartige" Quelle. Sie nicht zu erforschen wäre ein politisches und wissenschaftliches Versäumnis.

Die Bubenburg in Fügen, exemplarisch für konfessionelle Heime, eingehend wissenschaftlich zu bearbeiten scheine angesichts der Opferberichte mehr als geboten. St. Martin in Schwaz, das einzige westösterreichische Erziehungsheim für schulentlassene Mädchen, sei als früheres Arbeitshaus und Gefängnis ein Beispiel für die Entwicklung einer Erziehungsanstalt. Und schließlich die Psychiatrische Kinderbeobachtungsstation von Maria Nowak-Vogl in Innsbruck. Deren Erforschung sei geradezu unerlässlich, um Fürsorgeerziehungsregime und Verbindungen zur Psychiatrie zu ermitteln. Erforscht werden sollte das Erziehungssystem interdisziplinär und unter Einbeziehung von Zeitzeugen, vor allem Betroffener. 470 Frauen und Männer, davon 185 Personen aus Vorarlberg und 285 aus Tirol, haben sich bisher bei den Opferschutzkommissionen der beiden Länder als Opfer von Gewaltpraktiken gemeldet.

Drei Säulen der Fürsorgeerziehung seien in ihrer strategischen Machtwirkung in den Heimen in Tirol und Vorarlberg zur Geltung gekommen, sagte Ralser bei der Präsentation der Vorstudie: Jugendfürsorge, Erziehungsheime und Kinderpsychiatrie hätten in wechselseitiger Abhängigkeit dieses System, geprägt durch fundamentalistischen und autoritären Stil, ermöglicht. Mit Heimaufenthalten verknüpft sei die soziale Frage gewesen. Es seien überwiegend uneheliche und " unterprivilegierte" Kinder auf die Heime verteilt worden. Warum es in Tirol nach Wien die höchste Dichte an Heimen gegeben hat, müsse noch erforscht werden.

Politische Verantwortung

Die Verantwortung für Zuweisung und Kontrolle der Heime trugen die Bezirksjugendämter und die Jugendwohlfahrt der Länder. Das Jugendwohlfahrtsgesetz von 1954 - es behielt für den gesamten Untersuchungszeitraum bis 1989 seine Wirkung - sei einer Verbesserung " nicht entgegengestanden", sagt Ralser. Doch: "Die Praxis blieb weit hinter der Zeit und den Möglichkeiten zurück."

Die Vorstudie listet die politisch Verantwortlichen auf: In Tirol war das zuständige Ressort durchgehend von Politikern der SP besetzt, zwischen 1970 und 1979 beispielsweise durch Kurzzeitfinanzminister Herbert Salcher. In Vorarlberg war die SP von 1945 bis 1969 zuständig, von 1969 bis 1979 zeichnete der damalige Landeshauptmann Herbert Kessler (VP) dafür verantwortlich, sein Nachfolger im Sozialressort war Fredy Mayer, der heutige Präsident des Österreichischen Roten Kreuzes. (Verena Langegger, Jutta Berger, DER STANDARD, 10.7.2012)