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Cornelia Travnicek, Inger-Maria Mahlke, Lisa Kränzler, Olga Martynova und Matthias Nawrat (v. li.) haben sich beim Ingeborg-Bachmann-Preis nicht nur Blumen verdient.

Foto: REUTERS/Heinz-Peter Bader

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Der mit 25.000 Euro dotierte Ingeborg-Bachmann-Preis ging, wie nach den 14 Lesungen allgemein erwartet, an die 1962 in Sibirien geborene, in Frankfurt am Main lebende Autorin Olga Martynova.

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Innenwelten haben den etwas lahmen Wettbewerb in diesem Jahr dominiert.

Klagenfurt - Vor zwei Jahrzehnten, sagte Burkhard Spinnen, Vorsitzender der Bachmannpreis-Jury, bei der Eröffnung des Lesewettbewerbs, habe man noch vorwiegend in politisch-ideologischen Kategorien gedacht - nicht nur in Klagenfurt und nicht nur wegen des Balkankrieges. Heute hingegen hätten ökonomische Terminologien die politischen abgelöst, gebetsmühlenartig würden nun Sätze propagiert und auch nachgesagt, in denen das Wort Finanzmärkte so vorkomme, "wie früher in der griechischen Mythologie das Wort Götter". Viel von dieser Ökonomisierung, so Spinnen weiter, sei auch im Metier der Literatur angekommen.

Er sprach damit ein großes Wort gelassen aus. Denn nach wie vor ist der Bachmannpreis einerseits ein den Literaturbetrieb grotesk in Größe, Breite und Bedeutung verzerrendes literarisches Spiegelkabinett, in dem die aus dem gesamten deutschen Sprachraum angereisten Verlagsleute, Medienmenschen, Juroren und Autoren vier Tage lang nach einem poetischen Ausgang suchen. Andererseits geht es neben den fast 55.000 Euro Preisgeld, die es hier zu erlesen gibt, für die vierzehn eingeladenen Autoren vor allem um die Chance, medial wahr- und beim Wort genommen zu werden. Ein repräsentativer Querschnitt durch die deutschsprachige Literatur wird hier nicht geboten, dafür ist die Veranstaltung in den letzten Jahren zu einer Art Seismograf für Texte, die als mehrheitsfähig und gut verkäuflich gelten, geworden.

Hunde, Katzen, Hühner

Hohe Ausschläge der Seismografennadel waren heuer nicht zu verzeichnen. Während es nicht nur in Europa drunter und drüber geht, befassten sich die Hälfte der hier präsentierten Texte mit dem Thema Pubertät, erwachender Sexualität und dem Übergang ins Erwachsenenalter. Bei Stefan Moster wird ein Vater von einer Jugendgeschichte eingeholt, in Hugo Ramneks Text Kettenkarussell macht ein Jugendlicher am Wiesenmarkt einer südkärntnerischen Stadt eine Grenzerfahrung, Cornelia Travnicek erzählt vom Ende einer Kindheit und Lisa Kränzler von einem Mädchen im Spannungsfeld zwischen Zärtlichkeit und Gewalt. Weiters handelt Matthias Nawrats Text, die Perspektive eines Mädchens einnehmend, von einer Familien-Corporate-Identity der etwas anderen Art, und Leopold Federmair schließlich schildert (ebenfalls aus der Frauenperspektive) die Geschichte eines unverhofften Wiedersehens und einer Ernüchterung.

Konnte man sich mit den die Beiträge fast schon rudelweise durchziehenden Tieren (Hunde, Katzen, Frösche, Hühner) in den drei Lesetagen noch anfreunden, befremdete die beinahe vollständige Abwesenheit einer Welt, die über die Innenräume der Seele oder das Gefangensein in Beziehungs- oder Familienkonstellationen hinausginge, dann doch. Vielleicht sagen diese eine neue Innerlichkeit propagierenden Texte über jugendliches Ausgeliefertsein, Kontaktarmut, Berührungslosigkeit und Gefangenschaft im eigenen Ich indes doch einiges über die gebrechliche Einrichtung einer äußeren Welt aus, die mit dem Innenleben der Menschen immer weniger kompatibel scheint.

Die Jurydiskussionen waren schon ambitionierter. Zu oft hatte man das Gefühl, dass Texte auseinandergebaut, ihre Einzelteile auf Passgenauigkeit geprüft und anschließend, manchmal falsch, wieder zusammengesetzt wurden. Hubert Winkels, der fast alle Diskussionen mit seinen Statements eröffnete, gefiel sich in der Rolle des Spielmachers, Hildegard Elisabeth Keller erzählte nach, was in den Texten ohnehin zu lesen war, Daniela Strigl versuchte verzweifelt, und meist erfolglos, so etwas wie Witz in die Gespräche zu bringen, Paul Jandl platzte zuweilen der Kragen ("Dieser Text ist voller Schlager-Poesie"), Meike Feßmann bleibt Meike Feßmann, Burkhard Spinnen verstummte im Verlauf des Wettbewerbs, und Corina Caduff, neu in der Jury, brachte frischen Wind.

Mädchenherzen vermessen

Der mit 25.000 Euro dotierte Ingeborg-Bachmann-Preis ging, wie nach den 14 Lesungen allgemein erwartet, an die 1962 in Sibirien geborene, in Frankfurt am Main lebende Autorin Olga Martynova. Zwar handelt auch ihr Beitrag Ich werde sagen: Hi! von einem Heranwachsenden, der sich aufmacht, die Welt und die Herzen der Mädchen zu vermessen, wobei Martynova in einer ruhigen, präzisen Sprache einen Erzählkosmos öffnet, der bei Adam und Eva beginnt und über ägyptische Mythologie bis zu einem Multikulti-Wohnhaus in der deutschen Provinz reicht. Ein souveräner Text, der auch davon spricht, wie ein Bub, der sich dauernd überlegt, wie er die Angebeteten ansprechen könnte, zur Sprache und zum Erzählen kommt.

Der Kelag-Preis (10.000 Euro) ging an den 1979 in Polen geborenen Matthias Nawrat, dessen Text wie schon sein heuer gefeiertes Romandebüt Wir zwei allein im Schwarzwald spielt, wo Nawrat ein Mädchen mit Vater und Bruder in den Eingeweiden der Wegwerf-Warenwelt wühlen und von Neuseeland träumen lässt.

Bäckerin wird Domina

Lisa Kränzler (Jahrgang 1983) las einen flirrenden Kindheitstext über erwachende Sexualität und Sadismus, der mit dem 3sat-Preis (7500 Euro) ausgezeichnet wurde. Inger-Maria Mahlke (Jahrgang 1977) erhielt für ihren in der Du-Form gehaltenen, eindringlichen Beitrag über die in vielfacher Hinsicht prekäre Situation einer Alleinerzieherin, die vom Back- ins Dominagewerbe wechselt, den Ernst-Willner-Preis (5000 Euro), und der per Internetabstimmung ermittelte Publikumspreis (7000 Euro) ging an die 1987 in St. Pölten geborene Cornelia Travnicek, wobei ihr Romanauszug Junge Hunde, in dem ein verblichener Beagle beerdigt wird und gleichzeitig verschüttete Geschichten an die Oberfläche kommen, die Jury nicht vollständig überzeugen konnte. Das mag teilweise mit der hohen Erwartungshaltung, die der erst 25-jährigen Autorin aufgrund des Erfolgs ihres heuer erschienenen Romans Chucks entgegengebracht wurde, zusammenhängen.

Literatur ist, wie der Bachmannpreis, immer schon Geschmackssache gewesen, beide werden es bleiben. Eine Bereicherung der Bachmann-Tage ist der Lend-Hafen, wo sich mittlerweile ein wesentlich jüngeres Publikum als im ORF-Theater (wo die Lesungen stattfinden) zum Public Viewing der Lesungen und zu Abendveranstaltungen wie dem samstäglichen Bachmann-Song-Contest trifft. Alle beim Bachmannpreis gelesenen Texte, Jurydiskussionen und Autorenporträts sind online abrufbar.     (Stefan Gmünder, DER STANDARD, 9.7.2012)