Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek ist seit 25 Jahren kein Kirchenmitglied mehr - und sieht dennoch viele Gemeinsamkeiten mit Toni Faber.

Foto: Standard/Corn

"Ich bin schon der Meinung, dass es einen starken Staat braucht, der die Dinge regelt", sagt Gabriele Heinisch Hosek.

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"Die, die den Aufruf zum Ungehorsam unterschrieben haben, sind treue Arbeiter im Weinberg des Herrn", meint Toni Faber.

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STANDARD: Sie haben ein Kreuz um den Hals. Das ist für eine Sozial demokratin sehr, sehr ungewöhnlich. Welche Geschichte hat dieses Kreuz?

Gabriele Heinisch-Hosek: Das ist die Halskette meines verstorbenen Patensohnes, den ich mit meinem Mann gemeinsam drei Jahre betreuen durfte. Ein schwerstbehindertes Kind, das im Landeskinderheim in Perchtoldsdorf im Schwedenstift gelebt hat. Das Kind hat mir so viel bedeutet, dass ich diese Kette, auch wenn sie etwas eng ist, seit seinem Tod nie mehr abgelegt habe. Und es stört mich überhaupt nicht, dass es ein christliches Symbol ist.

STANDARD: Sie selber haben ein Verhältnis zur Kirche? Haben Sie ein Verhältnis zu Gott?

Heinisch-Hosek: Ich habe ein Verhältnis zu Gott, aber seit 25 Jahren kein Verhältnis zur katholischen Kirche - wenn Sie Kirchenbeitrag oder "Dabeisein" meinen.

STANDARD: Haben Sie ein Verhältnis zur Sozialdemokratie, Herr Dompfarrer?

Toni Faber: Ja, ich bin in der Kirche und in der Sozialdemokratie aufgewachsen. Ich bin als Kind zweimal im Jahr in Rodaun von Haushalt zu Haushalt gezogen. Einmal als Sternsinger und einmal mit den roten Nelken. Und ich bin mit vier, fünf Jahren mit meinem Vater, einem Straßenbahner, auch beim Maiaufmarsch mitgegangen. Mein Vater hat gesagt: "So, jetzt musst du winken, da vorne steht der Bruno, der wartet darauf, dass du ihm winkst."

STANDARD: Offenbar haben Ihre Lebenswege Sie zu verschiedenen Auffassungen geführt, was man für den Menschen tun kann oder tun muss. Wenn Sie Ihre Partei anschauen, hat sie den Menschen noch so im Blick, wie sie ihn haben sollte?

Heinisch-Hosek: Auf jeden Fall. Mir geht es um Gerechtigkeit für die Frauen: dass wir bei den Löhnen gleichgestellt sind. Dass Frauen, die Alleinerzieherinnen sind, geholfen wird. Was familienrechtliche Fragen anbelangt, sind Frauen noch sehr in ein traditionelles Modell gepresst. Es ist Aufgabe der Sozialdemokratie, Ge rechtigkeitsfragen immer wieder aufs Tapet zu bringen, und das ist auch meine persönliche Aufgabe. Und da steht nur der Mensch, die Frau, der Mann, das Kind, im Mittelpunkt. Die Handschrift der Sozialdemokratie in der Bundesregierung ist für mich sichtbar, weil wir einiges, was an Vermögenszuwachssteuern und anderen Paketen geschnürt wurde, auch durchsetzen konnten.

STANDARD: Verteilungsgerechtigkeit ist ja auch eine zentrale Frage im Christentum?

Faber: Das ist eine beständige, drängende Frage. So sagen es Jesus und die katholische Soziallehre, so sagte es der Heilige Vater: Die Sünden, die ungerechte soziale Strukturen zur Auswirkung haben, werden sicherlich schwerer beurteilt werden vom Herrgott als andere lässliche Sünden, die wir oft im Fokus unserer Betrachtung halten. Es wird um die Liebe gehen, und die Liebe beinhaltet Gerechtigkeit, natürlich auch mit ein paar anderen Schwerpunkten, die wir in der katholischen Soziallehre ganz besonders für wesentlich halten: das Recht auf Privateigentum, aber zugleich immer die soziale Verpflichtung, die mit diesem Eigentum einhergeht; es braucht den Schutz der Freiheit gegen obrigkeitliche Einflussnahme, das Subsidiaritätsprinzip.

Heinisch-Hosek: Ich bin schon der Meinung, dass es auch einen starken Staat braucht, der die Dinge für Menschen, die es sich nicht regeln können, regelt. Es ist wichtig, soziale Benachteiligung auszugleichen, indem wir ein gutes staatliches Bildungssystem anbieten, von klein an. Das hilft ja den Kindern, die hier Defizite ausgleichen können, aber auch den Erwachsenen, die ih rer Arbeit nachgehen können. Da haben wir sicher beide einen Auftrag.

Faber: Ich habe es ganz hautnah erlebt: Wir waren zu viert, und ich bin abhängig gewesen von vielen Errungenschaften, die wir gerade in Österreich der Sozialdemokratie verdanken. Ich bin sehr beschämt gewesen, dass ich als Kind Lebensmittelpakete und meine erste Jeanshose aus der Pfarre geschenkt bekommen habe. Ich habe mich in Grund und Boden geniert und bin aus dieser persönlich beschämenden Erfahrung sehr aufmerksam geworden für die se versteckte Not, wo Menschen einfach sehr darunter leiden, wie wenig sie sich leisten können. Es gibt viel mehr Not, als man glaubt. Ich habe Ministrantinnen, Ministranten, denen es ähnlich geht wie mir damals vor 45 Jahren.

STANDARD: Wer sind die Benachteiligten in dieser Gesellschaft? Sie haben die strukturelle Benachteiligung von Frauen angesprochen - aber haben es Migranten nicht noch schwerer? Für die gibt es gar keine politische Vertretung. Wäre das nicht eine Aufgabe für die SPÖ?

Heinisch-Hosek: Erstens haben wir einen Staatssekretär, der für Integrationsfragen zuständig ist ...

STANDARD: ... nicht von Ihrer Partei ...

Heinisch-Hosek: Ja, aber in der Regierung. Alle wollten das, und jetzt haben wir einen. Das ist das eine. Es gibt viele Kulturvereine und Migrantinnenvereine und auch Frauenvereine, die ich von meinem Budget fördere. Migrantinnen sind oft doppelt diskriminiert. Eine reiche Gesellschaft muss dafür sorgen, dass Menschen nicht exkludiert werden. Das Ziel muss eine egalitäre Gesellschaft sein, egalitäre Gesellschaften sind auch dynamischer, glücklicher, erfolgreicher, gesünder ...

Faber: Eine Weltkirche vermag auch zum Thema Migration beizutragen - die zehn Priester, die hier am Dom arbeiten, da bin ich der einzige Wiener. Die anderen kommen aus Amerika, aus Polen, aus Kroatien, der Slowakei, aus Deutschland. Das ist eine gute Schulung dafür, nicht in nationalstaatlichen Schemata und Schablonen zu denken. Also bevor der Stephansdom eine Moschee wird, da dauert es schon noch etwas länger, das wird nicht der Fall sein. Gleichzeitig gibt es viele fremdsprachliche Gemeinden in Wien, die wachsen, im Gegensatz zu vielen Gemeinden, die angestammt sind, die tendenziell schrumpfen. Es ist ja nicht so, dass wir einen Priestermangel haben. Den auch, aber einen viel größeren Katholikenmangel.

STANDARD: Ich weiß nicht, ob die SPÖ schneller Mitglieder verliert oder die katholische Kirche?

Heinisch-Hosek: Die gibt es schon zeit 2000 Jahren und uns seit 120.

Faber: Wir dürfen da nicht nur abzielen auf die 100-Prozent-Katholiken. Es gibt den großen Kreis der Sympathisanten und auch diejenigen, wie der Nikodemus im Evangelium, die sich nur in der Nacht zum Herrn trauen und sonst nicht dazu stehen wollen. Da könnte ich Ihnen Leute aus Wirtschaft, Politik, Gesellschaft nennen, die bei einem Empfang bei einem Glaserl Wein dies und jenes mit mir besprechen, aber eben nicht am Sonntag in der ersten Reihe sitzen in der Kirchenbank.

STANDARD: Alle reden von Reform: Was kann die Amtskirche lernen von der Ministerin für öffentliche Verwaltung?

Faber: Wir haben das römische Verwaltungssystem vor 2000 Jahren übernommen und mit mehr oder weniger viel Erfolg auch durchgeführt. Manches ist aber ganz typisch wienerisch, daher haben wir es relativ schwer, das, was wir als Reformbewegungen zu artikulieren versuchen, in Rom nicht nur als Ungehorsam erscheinen zu lassen, sondern als einen großen dringenden Wunsch, hier Reformen zu diskutieren. Die, die den Aufruf zum Ungehorsam unterschrieben haben, sind ja samt und sonders fleißige, treue Arbeiter im Weinberg des Herrn. Und solange sie nicht "Ungehorsam" geschrieben haben, haben alle gesagt: "Sind sie nicht eh liab und brav!"

Heinisch-Hosek: Die haben nur eine andere Sicht auf die Dinge.

Faber: Und noch etwas: Ein Drittel der Weltdiözesen lebt von der Verteilungsgerechtigkeit, dass die reicheren Länder gebeten sind, ihre Gaben den Ärmeren zur Verfügung zu stellen, und die können ihren Grundhaushalt damit überhaupt erst aufstellen.

STANDARD: Fast wie in der EU ...

Faber: Fast.

Heinisch-Hosek: Wer hat, hilft den anderen. So bleibt man gemeinsam stark.

STANDARD: Reformbedarf gibt es auch in der Republik. Das ist seit der Kreisky-Zeit schwieriger geworden. Stört Sie das?

Heinisch-Hosek: Ich bin stolz auf die Reformen damals, sie haben auch mir persönlich den Weg bereitet. Natürlich wären Reformen notwendig, wenn wir die eine oder andere Verwaltungsebene vereinfachen wollen. Aber man muss bedenken: Jeder verlangt den "großen Wurf" - aber was sind große Reformen in einem Staat, der in Europa recht gut dasteht, wo wir diese Krise sehr gut bewältigt haben? Da muss ich nicht auf die eine große Reform warten!

STANDARD: Im Evangelium für diesen Sonntag steht: "Nirgends hat ein Prophet so wenig Ansehen wie in seiner Heimat, bei seinen Verwandten und seiner Familie." Wie geht es Ihnen mit dem Satz?

Heinisch-Hosek: Erstens bin ich keine Prophetin. Ich bin Realpoliti kerin, da ist es wichtig, das Ohr bei der Bürgerin zu haben, zu schauen, was die Frauen brauchen, was man noch verbessern kann, um dafür dann zu kämpfen. Weil da ist längst nicht alles erreicht.

Faber: Ich darf seit 15 Jahren hier arbeiten als Pfarrer und habe viele positive Rückmeldungen. Nicht weil ich so gut bin, sondern weil es einfach Möglichkeiten der Begegnung gibt. Das schönste Kompliment, das man mir sagt, ist "Wissen S', Herr Pfarrer, ich bin zu Ihnen gekommen, weil Sie sind so normal, so weltlich." Die meinen damit nicht das Gegenteil von spirituell, sondern sie meinen, dass sie eine Kirche brauchen, die ihnen in Augenhöhe entgegenkommt. Da halte ich es so wie die Frau Minister, ich muss kein Prophet sein, ich möchte nur meine konkrete Arbeit tun. Andererseits: Jeder Katholik, jeder getaufte Christ, hat Anteil am Prophetenamt, Königtum und Priesteramt Christi. Wir sind ja in Wirklichkeit sowieso alles Propheten in ganz Österreich, jeder weiß es ja besser als die anderen, und in der Politik sowieso!

Heinisch-Hosek: (lacht) Acht Millionen Propheten ... (Conrad Seidl, DER STANDARD, 7.7.2012)