Beim Carinthischen Sommer: Christian Muthspiel.

Foto: STANDARD / Corn Heribert

Wien - Wenn man sich dieser Tage mit Christian Muthspiel im Kaffeehaus verabredet, trifft man ihn lesend an: Leben und Zeit des Michael K. liegt da aufgeschlagen, ein Werk J. M. Coetzees, des südafrikanischen Nobelpreisträgers. "Ich versuche mich immer über die Literatur auf einen Platz einzustimmen, mich vorzubereiten für das bewusste Wahrnehmen eines Orts", so Muthspiel, der kommende Woche in Johannesburg mit dem Miagi Youth Orchestra proben wird, einem Klangkörper mit 15- bis 25-jährigen Instrumentalisten aus ganz Südafrika.

"Das Orchesterprojekt ist ja eine Großtat - im Hinblick darauf, die Wunden der Apartheid zu schließen und der jungen Generation eine Chance zu geben. Wenn man's ganz plakativ formuliert, sitzen hier Kinder und Enkel von einstigen Tätern und Opfern Pult an Pult und machen miteinander Musik", zeigt sich Muthspiel begeistert. Das Programm, das er mit dem Orchester erarbeiten und nach der Premiere in Johannesburg beim Carinthischen Sommer und beim Steirischen Kammermusikfestival in Graz dirigieren wird, umfasst neben Bernstein, Gershwin und Debussy auch eine Muthspiel-Neuheit (Out of South Africa).

"Ich wollte etwas als Basis nehmen, das aus dem Orchester selbst kommt, und habe Melodien und Themen von Bassklarinettist Tshepo Tsotetsi verarbeitet. Er beginnt mit seiner Jazzband, ich ,übernehme' das Stück mit dem Orchester." Für Muthspiel ist 2012 eines mit "exzeptionellen Erfahrungen in allen Bereichen", wie er sagt: Als Dirigent war die Aufführung von Berlioz' Symphonie fantastique ein prägendes Erlebnis; als Komponist bedeutete die Uraufführung seines Sonett XVIII durch Angelika Kirchschlager und Cellist Gautier Capuçon eine wichtige Bestätigung, umso mehr, "als es die bereits dritte Komposition für Kirchschlager war und sich mit Capuçon eine Fortsetzung anbahnt". Und der Jazzmusiker in ihm, als der er, der "alle Studien rechtzeitig abgebrochen" hat, ja einst begann, wird im Rahmen des Jazzfestivals Saalfelden ein neues Quartett vorstellen.

"Das als letztes Projekt in dieser Serie kurz vor meinem 50. Geburtstag ist cool", so Muthspiel. Mit dem Älterwerden selbst hat das aus dem steirischen Judenburg stammende Multitalent kein Problem: "Auch da ich glaube, dass es eine der Hauptaufgaben im Leben ist, näher an sich selbst heranzukommen. Außerdem bin jetzt mit 50 viel selbstbestimmter als vor 20 oder 30 Jahren. Ich mache künstlerisch weniger Kompromisse."

Was zur Folge hat, dass sich der "Langsamentwickler, der für viele Dinge viel Zeit braucht", diese auch nimmt: "Die Festivals wollen am liebsten Weltpremieren, neue Projekte statt Bands. Das entspricht nicht meiner Arbeitsweise. Bei mir ist alles zyklisch. Ich möchte immer gern länger in einem Thema kochen", so Muthspiel, der so auch begründet, warum er im Rahmen der Saalfeldner Quartett-Premiere erneut das John-Dowland-Programm aufgreifen wird. Und der so erklärt, warum ihm so viel an konstant arbeitenden Besetzungen gelegen ist, etwa seiner Yodel Group, in der er in Jodler-Melodien kunstvoll umfunktioniert.

"Ich liebe es, mir Bands anzuhören, bei denen ich merke, dass die Leute seit vielen Jahren miteinander spielen. Man hört, dass das schon einmal auf einer ganz anderen Ebene beginnt."    (Andreas Felber, DER STANDARD, 7./8.7.2012)