Aufbruch zu neuen Herausforderungen: Der belgische  Choreograf und Regisseur Wim Vandekeybus plant seinen ersten abendfüllenden Spielfilm.

Foto: Danny Willems

Anlässlich einer Filmschau seiner bisherigen Arbeiten bei der Salzburger Sommerszene traf ihn Dominik Kamalzadeh zum Gespräch.

Standard: In Salzburg werden Ihre wichtigsten Film- und Videoarbeiten gezeigt. Was hat Ihnen denn der Film für Ausdrucksmöglichkeiten verschafft, dass Sie immer wieder darauf zurückkommen?

Vandekeybus: Ich habe ja nicht als Choreograf begonnen, sondern eigentlich als Fotograf. Dann erst habe ich meine Shows realisiert, die auf keiner gängigen Technik von Tanz oder einer Theatertradition basierten. Ich habe quasi mein eigenes Medium erfunden: Körperliches war mir wichtiger als Formales. Und es ging mir immer ums Geschichtenerzählen, darum, für die jeweilige Geschichte das richtige Medium zu finden. Film war immer ein Teil davon.

Standard: Bietet sich das Mittel Film auch als eine Art Entlastung zur körperlichen Choreografie an?

Vandekeybus: Der Körper ist für Choreografen natürlich das Wichtigste. Als Filmemacher musste ich erst lernen, dies zu vernachlässigen. Man geht visuell und dramaturgisch anders an die Sache heran: Auf der Bühne ist man frei, weil das Geschehen viel abstrakter ist - da könnten etwa zwei Personen alle Rollen verkörpern. So etwas kann man sich beim Film nicht erlauben. Nach 27 Stücken mache ich nun auch meinen ersten richtigen Spielfilm - es geht um Zwillingsbrüder, die sich aus den Augen verlieren und wiederfinden. Und es hat nichts mit Tanz und Performance zu tun, obwohl viele Leute aus diesen Bereichen daran mitwirken werden.

Standard: Sie gehen also noch einen Schritt weiter als in "Monkey Sandwich", Ihrem letzten Film, der schon wenig Performance-Elemente hatte?

Vandekeybus: Ja, diesmal gibt es ein Drehbuch, an dem ich sieben Jahre lang gearbeitet habe. Da es dauert, bis sich so etwas finanzieren lässt, habe ich mit "Monkey Sandwich" dazwischen einen Film gemacht, den ich selbst finanzierte und in dem das meiste improvisiert war. Mit Schauspielern, die das Geschichten erzählen zum eigentlichen Inhalt machen können. Wir haben ihn in nur zwölf Tagen gefilmt. Am Ende wurden wir damit zum Filmfestival von Venedig eingeladen.

Standard: Der Film ist durchaus ironisch. Die Hauptfigur, der Regisseur eines Stücks am Schauspielhaus Köln, hat Probleme mit seinen Ansprüchen. Eine Art Alter Ego?

Vandekeybus: Jerry Killick spielt eigentlich mich - es begann mit der Frage, was wir mit diesen Bühnenschauspielern überhaupt machen sollen. Ich habe Jerry ein paar Geschichten erzählt, wir haben Interviews geführt, daraus ist dieser ironische Blick auf das Entstehen einer Produktion erwachsen. Solche Doppelungen, in einem Stück zugleich drinnen wie draußen zu sein, schätze ich sehr - das ist auch in meinem neuen Stück "Booty Looting" (bei Impulstanz in Wien zu sehen, Anm.) so.

Standard: Entfernen Sie sich mit solcher Ironie nicht von ihren Anfängen - da ging es doch darum, zu den Ursprüngen der Bewegungen, zu Impulsen zurückzukehren?

Vandekeybus: Ich finde, man muss die Grenzen der jeweiligen Kunstform stets neu überprüfen, um zu sehen, was man damit anstellen kann. Die impulsive Qualität steckt ja nicht nur in Körpern, Jerry zeigt sehr schön, dass sie sich auch über Texte, Sprache entfalten kann. Das ist ein Thema, das man kein ganzes Werk durchzieht, aber ich setze es manchmal körperlich, dann wieder psychologisch um. Natürlich mache ich nicht dasselbe, was ich am Anfang meiner Karriere verfolgt habe: Wir führen gerade "What the Body Does Not Remember" wieder auf - die Show ist 25 Jahre alt -, daneben "Booty Looting". Die Unterschiede sind enorm ...

Standard: Ist es für Sie schwieriger geworden, Ausdrucksfreiheiten zu wahren - beim Film kommen ja Technologie und Bürokratie hinzu?

Vandekeybus: Klar, Film ist weit weniger frei, aber umgekehrt ist es für mich entspannend, etwas anderes zu tun. Ich habe 27 Produktionen gestemmt, ich möchte das die nächsten zwanzig Jahre nicht auf dieselbe Art und Weise tun. Nun habe ich eine neue Suche begonnen: Ich habe mit simplen Sachen begonnen, schließlich bin ich noch ein Anfänger, aber ich kann mein Wissen nützen.

Standard: Haben Sie eine Erklärung dafür, warum momentan so viele Künstler aus anderen Disziplinen zum Film streben?

Vandekeybus: Ich denke, Film benötigt immer wieder Input von anderen Künsten. Ich kann etwas einbringen von dem, wie wir Dinge vorbereiten und hinterfragen, ohne sie vorher niederzuschreiben. Ich habe Erfahrung mit diesen Verrücktheiten, und es fällt mir leicht, dies alles zu adaptieren. Es gibt Filmemacher, die in der Menge verschwinden, ich schätze jene, die nur das machen, was ihnen im Kopf herumspukt. Lars von Trier erneuert das Medium mit jedem Film. Nicholas Winding Refn rast manisch von einem Film zum nächsten.

Standard: Mochten Sie seinen Film "Drive"?

Vandekeybus: Es ist etwas besser verdaubar als andere. Ich liebe seinen Wikinger-Film "Valhalla Rising". Das ist auch sein Favorit.
(Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 7./8..2012)