Wien - Vertieft man sich in das Album Personal Journals von Sage Francis, erfasst einen eine gewisse Nostalgie. Erinnert es doch an jene Schnittstelle in der Entwicklung von HipHop, an der sich nach Jahren der dominanten großen Klappe seiner Rapper eine ästhetische Modifikation bemerkbar machte, die bald als Zäsur hin zum abstrakten HipHop in die Geschichte eingehen sollte.
Es war dies ein in den frühen 90ern einsetzender Versuch, den genreüblichen Inhalten - Getto, große Autos, Frauen und Geld - zu entfliehen und sich der Klangmalerei hinzugeben. Dass das nicht automatisch inhaltsleeren Eskapismus oder esoterischen Schmalz bedeuteten musste, beweist eindrucksvoll das Frühwerk des Japaners DJ Krush, der diesbezüglich als Galionsfigur genannt werden muss.
Sage Francis, der für diesen Zeitschwenk verantwortlich zeichnet, ist Mitglied von Anticon. So nennt sich eine achtköpfige Interessengemeinschaft aus San Francisco mit angeschlossenem Label, auf dem die aus der weißen Mittelklasse stammenden jungen Männer ihre Vision von HipHop umsetzen.
Anticon versteht sich als Gegengift gegen den Kommerz-HipHop, das sich der Soundforschung und damit der Erweiterung der HipHop-Grenzen verschrieben hat. Dementsprechend klingen die Platten von Anticon-Künstlern wie Sole oder Themselves nicht nach dem üblichen Einheitsbrei des Formatradios und Musikfernsehens. Zu diesen Beats kann Mutter definitiv nicht bügeln!
Nein, die Idee Underground wörtlich nehmend, muss sich der Hörer erst in die Tiefe vorarbeiten. Vorbei an Geräuschen, die ihre Ursprünge in der Industrial Music haben, durch ein Dickicht an Ambient stößt man an den Kern des Werks vor.
Abseits von Puff Daddys Kuschel-Rap wird bei Anticon gesellschaftspolitisch Standpunkt bezogen. Ebenso wie der weiße US-Hardcore der 80er-Jahre ist dieser gespeist aus einer Abneigung gegen die herrschende Politik, gegen die soziale und ökonomische Verwahrlosung der eigenen Umgebung. Während das Duo Themselves diese Haltung mit eher sperrig erscheinenden Soundcollagen transportiert, bestechen Sole und eben Sage Francis durch ihre düstere Eleganz.
Doch anders als die Ergebnisse des ähnlich ausgerichteten New Yorker Labels Wordsound suchen etwa Sole nicht in immer noch monströser oder desaströser wirkenden Rhythmen ihr Heil, sondern errichten lieber grindige Soundwände als Stimmungsverstärker. Damit reüssierte man bereits im Vorjahr erfolgreich im Rahmen der Linzer Ars Electronica. Der Star des Labels, das sich solchen Wertungen natürlich verschließt, ist jedoch Sage Francis.