Die Europäische Zentralbank, Hüterin der Preisstabilität in der Eurozone, hat die Leitzinsen gesenkt: von bereits niedrigen 1,0 Prozent auf rekordtiefe 0,75 Prozent - doch dieser Schritt geht ins Leere. Ökonomen erhoffen sich von einer Zinssenkung der Notenbank im Normalfall eine Stärkung der Realwirtschaft. Niedrigere Zinsen sollen die Investitionen der Unternehmen ankurbeln und Sparern nahelegen, ihr Erspartes doch lieber zu konsumieren.

Doch mit den Zinssenkungen verhält es sich wie mit dem Biergenuss. Das erste Krügerl mag den Gaumen erfreuen, das zweite die Laune heben. Aber spätestens das fünfte oder sechste ist zu viel des Guten. Eine Zinssenkung auf 0,75 Prozent wird wenige Unternehmen von Investitionsprojekten überzeugen - und wenn, dann dürfte die Qualität der Investition äußerst zweifelhaft sein, wenn sie sich nur bei einem Zins unter einem Prozent überhaupt rechnet.

Die Zinssenkung der EZB wird daher keine Trendwende in der Eurozone einleiten. Die Konjunktur wird ja nicht von zu hohen kurzfristigen Finanzierungskosten abgewürgt. Sie wird davon zurückgehalten, dass der Fortbestand der Währungsunion angezweifelt wird und die politische Unsicherheit die Investitionen und den Konsum weiter drückt.

Die europäischen Banken bleiben dabei die Achillesferse. Viel zu spät hat die Wirtschaftspolitik erkannt, dass die faulen Immobilienkredite, die sich in den Bilanzen angehäuft haben, aus den Geldinstituten lebende Tote gemacht haben. In Japan, haben die Zombiebanken - Geldinstitute, die eigentlich insolvent sind, aber von der Zentralbank am Leben gehalten werden - wesentlich zur jahrzehntelangen monetären Malaise beigetragen. In Japan folgten auf die Immobilienblase 1990 zwei Jahrzehnte von finanziellen Entbehrungen, mit fallenden Kreditbeständen und Deflation. Dieses Szenario droht der Eurozone. Auch in Europa bleibt jeder Versuch der EZB, die Wirtschaft anzukurbeln, in den Banken stecken.

Das haben die jüngsten Geldspritzen von mehr als einer Billion Euro (1000 Milliarden) gezeigt. Sie haben nur Symptome, nicht aber die Ursache bekämpft: Europas Banken halten nicht nur faule Wertpapiere aus den Immobilienbooms von 2005 bis 2007, sondern müssen noch zusehen, wie ihre Staatsanleihen vor ihren Augen verrotten. Die Geldmenge in Ländern wie Spanien und Italien ist deshalb real weiter gefallen. Deutsche, österreichische und niederländische Banken sehen keinen Grund, ihren spanischen Konkurrenten Geld zu leihen. Dafür muss die EZB einspringen.

Wenn es der Zentralbank und ihren europäischen Partnern nicht gelingt, die Staatsanleihenmärkte von Spanien oder Italien wieder funktionsfähig zu machen, wird sich die Situation noch verschärfen. Der Teufelskreis zwischen Banken und Staaten ist erst dann durchbrochen, wenn es absolute Sicherheit gibt, dass Spanien und Italien ihre Schulden zu 100 Prozent tilgen werden. Dieses Versprechen kann nur eine Institution abgeben: die Europäische Zentralbank.

Sie hat daher die Wahl: Interveniert sie mutig und uneingeschränkt im Staatsanleihenmarkt, um die Zinsaufschläge für Spanien auf ein erträgliches Maß zu senken - oder lässt sie weiter die Zombiebanken an ihre Tröge? Dies wäre ökonomisch wohl genauso teuer - würde aber den Kreditfluss in die Realwirtschaft noch weiter abschnüren. (Lukas Sustala, DER STANDARD, 6.7.2012)