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Die Frau hat das Baby, der Mann schaut zu.

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Anne-Marie Slaughter bei einer "Debating Europe"-Veranstaltung 2008 in Wien.

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Anne-Marie Slaughter, einst eine der wichtigsten Mitarbeiterinnen von Hillary Clinton, beschreibt ernüchtert die Arbeitswelt in den USA: Das Ideal sei noch immer die Frau, die ihrem hart arbeitenden Mann den Rücken freihält.

 

Es war ein Abend voller Glanz. Barack und Michelle Obama hatten ins Naturhistorische Museum in New York geladen, um all die Präsidenten und Premierminister zu empfangen, die zur UN-Generaldebatte angereist waren. "Ich schlürfte Champagner und mischte mich unter die Leute", schreibt Anne-Marie Slaughter. "Aber ich konnte nicht aufhören, an meinen 14-jährigen Sohn zu denken." Der Bursche erledigte seine Hausaufgaben nicht, störte den Unterricht und blockte ab, wenn ihm Erwachsene Ratschläge gaben.

Gewissensbisse einer Mutter, die nur an den Wochenenden zu Hause war. Nach nur zwei Jahren im Amt kehrte Slaughter von Washington zurück nach Princeton, an die Universität. Einen hohen Regierungsposten mit den Bedürfnissen zweier Teenager zu verbinden, so schlussfolgert die Politikprofessorin, sei einfach nicht möglich gewesen.

Einst gehörte Slaughter zu Obamas Vorzeigefrauen. Im State Department war sie eine der wichtigsten Mitarbeiterinnen von Hillary Clinton. Ihr Mann hielt ihr den Rücken frei, indem er sich um die beiden Söhne kümmerte. Und doch zieht Slaughter ernüchtert in der Titelgeschichte des Magazins The Atlantic Bilanz.

Theoretisch gebe es zwar kaum noch Hürden für Frauen, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen, doch die Kultur des Büroalltags sei nach wie vor familien- und daher frauenfeindlich. "Das Ideal ist noch immer der Mann, der rund um die Uhr einsatzbereit ist, weil seine Gattin ihm daheim den Rücken freihält."

Frauen ihrer Generation, schreibt die 53-Jährige, hielten eisern fest an dem feministischen Credo, wonach man alles haben könne: Karriere und Kinder. "Aber wenn uns die Jüngeren nicht mehr zuhören und immer noch ‚You can have it all!‘ wiederholen, dann ist es Zeit zu reden."

Das wahre Ideal, so Slaughter, sei auch heute noch ein Typ wie Dick Darman, der scheinbar pausenlos arbeitende Budgetdirektor Ronald Reagans. Spätabends hängte Darman sein Jackett über die Stuhllehne und ließ im Büro Licht brennen. Jeder sollte glauben, er gehe immer als Letzter.

Wunder Punkt

Slaughters Essay trifft einen wunden Punkt: Amerikaner arbeiten mehr als die Bürger jeder anderen großen Industrienation. Im State Department hatte Slaughter, nicht untypisch für die USA, zwölf Urlaubstage pro Jahr. Verlässt jemand einen wichtigen Posten, hat sie beobachtet, "werden familiäre Gründe meist als vornehme Umschreibung dafür angesehen, dass man gefeuert wurde." Dass es wirklich an familiären Gründen liege, sei ja undenkbar.

Doch Slaughter erfährt auch Widerspruch; von Katie Roiphe zum Beispiel, Buchautorin, Uni-Dozentin und alleinerziehende Mutter: "Balance zwischen Beruf und Familie? Warum muss Balance etwas Gutes sein? Gehört es nicht zur Freude, zum Verrückten des Lebens, wenn du morgens müde am Schreibtisch sitzt, etwas schaffen willst und dir dein Dreijähriger genau in dem Moment Gesellschaft leisten möchte?"

Slaughter wiederum versteht ihre Äußerungen als Replik auf Sheryl Sandberg. Die rechte Hand von Marc Zuckerberg bei Facebook erlangte gewisse Berühmtheit als Jeanne d'Arc des US-Feminismus, als sie aufrüttelnde Videos im Internet publizierte.

Damit mehr Frauen in Toppositionen aufsteigen, so Sandberg, müssten sie drei Regeln befolgen: Lass deinen Partner die Hälfte der Hausarbeit erledigen. Unterschätze nicht deine eigenen Fähigkeiten. Stecke nicht zurück.

Alles richtig, kommentiert Slaughter, und doch nur die halbe Wahrheit. Amerika müsse lernen, die Wahl von Menschen, die die Familie über den Beruf stellen, genauso zu achten wie die Wahl von Menschen, die es andersherum halten. (Frank Herrmann aus Washington /DER STANDARD, 6.7.2012)