"Stadt der Verbote" nennt man Graz schon länger: Nach Bettelverbot, Alkoholverbot in der gesamten Innenstadt und Grillverbot im Park wird nun auch Musizieren beschränkt.

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Graz/Wien - "Ein arbeitsfreies Einkommen galt in Österreich schon immer als unmoralisch", erzählt der Grazer Sozialhistoriker Joachim Hainzl dem STANDARD. Die Rede ist nicht von Lobbyisten, die nach ihrer Leistung suchen. Hainzl beschäftigt sich seit Monaten mit der Geschichte von Bettelverboten, die es seit dem 15. Jahrhundert in Österreich immer gab.

"Antiquierte Beurteilung"

Dabei sei auch immer zwischen fremden und hiesigen sowie arbeitsfähigen und arbeitsunfähigen Bettlern unterschieden worden, so Hainzl, der mit dem Armenpfarrer Wolfgang Pucher und Gruppen aus Oberösterreich, Salzburg, der Steiermark, Tirol und Wien vor wenigen Tagen das Österreichische Forum gegen Bettelverbote gründete. Das Forum fordert die Abschaffung aller Bettelverbote, unter anderem aus menschenrechtlichen Gründen.

Was Hainzl besonders wundert: Gesetzestexte wie jener des 2011 in Graz eingeführten Bettelverbotes "sind fast ident mit jenen, die vor hundert Jahren formuliert worden sind. Eine moderne Gesellschaft greift da auf absolut antiquierte Beurteilungen zurück.

Bis 1975 strafbar

Ob die Bettelverbote der Länder überhaupt halten, wird der Verfassungsgerichtshof (VfGH) entscheiden. "Wir sind optimistisch, dass bis Herbst alle Anträge entschieden sind", heißt es aus dem VfGH auf STANDARD-Nachfrage.

Bis 1975 war Bettelei in Österreich nach dem Landstreicherparagrafen strafbar. Das wurde nach der großen Strafrechtsreform anders. Doch schon bald begannen erste Länder wie Salzburg, das Betteln durch Landesgesetze zu beschränken.

"Schwammige Begriffe wie Anstand und Schicklichkeit"

Das Forum kritisiert die Verknüpfung von Bettelei mit dem Sicherheitsthema in den Landessicherheitsgesetzen sowie "schwammige Begriffe wie Anstand und Schicklichkeit" in den Gesetzestexten und fordert Solidarität mit den Bettlern.

Gegen strafrechtlich relevante Sachverhalte wie Nötigung oder Kinderarbeit habe man Gesetze, so Hainzl: "Durch die Verbote wird gegen eine bestimmte Gruppe eine parallele Gesetzgebung geschaffen." Auch der Umgang mit dem öffentlichen Raum macht Hainzl Sorge: "Die Grazer Innenstadt wird durch Verbote zu einem riesigen Shoppingcenter, das Arme und Randgruppen aussperrt."

Wolfgang Pucher nennt das Phänomen beim Namen: "Für mich ist das klar Antiziganismus", sagt der Pfarrer, der mit der Vinzenzgemeinschaft seit mehr als 15 Jahren bettelnden Roma hilft.

"Anlassverordnung gegen ein paar Roma"

Als Angriff auf Romafamilien sehen viele auch die am Donnerstag im Grazer Gemeinderat gegen die Stimmen von SPÖ, KPÖ und Grünen beschlossene Straßenmusikverordnung. Für die Grünen ist es eine "Anlassverordnung gegen ein paar Roma, die seit dem Bettelverbot musizieren". Das darf man künftig nur mehr dreimal pro Woche mit Platzkarten, die der Rathausportier ausgibt.

Bands dürfen aus maximal fünf Personen bestehen, Zeiten und Zonen, wo musiziert werden darf, werden in der Stadt, wo auch viele Studenten der Kunst-Uni die Straßen bespielen, beschränkt. Vor Schulen und Kirchen gilt ein Abstand von 50, vor Geschäften von fünf Metern. Nach 30 Minuten steht ein Standortwechsel an. (Colette M. Schmidt, DER STANDARD, 6.7.2012)