Bild nicht mehr verfügbar.

IHS-Chef Christian Keuschnigg findet Gefallen am permanenten Rettungsschirm ESM.

Foto: APA/Schlager Roland

Wien - Die Grünen haben am Donnerstag Bundespräsident Heinz Fischer in einem offenen Brief aufgefordert, eine verfassungsrechtliche Prüfung des am Vortag vom Nationalrat mit den Stimmen der Regierungsparteien SPÖ und ÖVP beschlossenen Fiskalpaktes vorzunehmen. Die Grünen verweisen darauf, dass die völkerrechtlichen Verpflichtungen aus dem Fiskalpakt erst mit Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten entstehen. Werner Kogler schließt im derStandard.at-Chat auch nicht aus, eine Verfassungsklage - die die FPÖ angekündigt hat - zu lancieren.

BZÖ für Volksabstimmung

Zuvor hatte schon die FPÖ an Fischer appelliert, den Fiskalpakt und den Europäischem Stabilitätsmechanismus (ESM), den die FPÖ und das BZÖ im Gegensatz zu den Grünen ebenfalls entschieden ablehnen, nicht zu unterzeichnen. Zudem hatte FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache Verfassungsklagen gegen ESM und Fiskalpakt angekündigt, die aus formalen Gründen über die Kärntner Landesregierung eingebracht werden sollen.

Auf diesen Zug aufgesprungen sind nun auch die Grünen. "Wir werden, wie viele andere, ihn mit allen politischen und rechtlichen Mitteln, wie mit einer Verfassungsklage, bekämpfen", meinte Kogler im derStandard.at-Chat.

BZÖ-Obmann Josef Bucher bekräftigte unterdessen am Donnerstag seine Forderung nach einer Volksabstimmung über den ESM. Am Mittwoch sorgte auch ein STANDARD-Bericht für Aufregung, wonach viele Abgeordnete gar nicht im Detail wissen, worüber sie am selben Tag abgestimmt haben.

Sinn gegen, Keuschnigg für ESM

Kritik am ESM kommt von 160 deutschsprachigen Top-Ökonomen rund um Hans-Werner Sinn in einem Aufruf. Sie laufen Sturm gegen die jüngsten Gipfel-Beschlüsse zur Überwindung der Staatsschuldenkrise. Die Staats- und Regierungschefs wollen, dass der dauerhafte Krisenfonds ESM - und damit der Steuerzahler - künftig Banken direkt unterstützen kann. Die Ökonomen warnen, Deutschland könne sich überheben. Die Bankschulden seien fast dreimal so groß wie die Staatsschulden: "Die Steuerzahler, Rentner und Sparer der bisher noch soliden Länder Europas dürfen für die Absicherung dieser Schulden nicht in Haftung genommen werden."

Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) antwortete auf den Protestbrief folgendermaßen: "Es geht hier überhaupt nicht um irgendwelche zusätzlichen Haftungen. Die Haftungen für Banken sind genauso verboten nach den jetzigen Regelungen wie es die Haftungen für Staaten sind." Daran habe sich durch die Brüsseler Beschlüsse nichts geändert.

Ebenfalls für den Rettungsschirm in die Bresche springt derweil IHS-Chef Christian Keuschnigg im derStandard.at-Chat. Er hält ihn für eine "sehr wichtige Institution. Er vergibt Kredite an bedrängte Länder, Zug um Zug gegen Reformen, die Strukturwandel und neues Wachstum ermöglichen sollen, damit die Tragfähigkeit der Schulden wiederhergestellt wird."

Die Frage, ob Italien ebenfalls unter den Rettungsschirm flüchten könnte, beantwortet er so: "Ob Italien unter den Rettungsschirm muss, hängt einerseits von einem glaubwürdigen Reformprogramm im Land selber ab, aber auch von der Kapazität des Rettungsschirms. Wenn diese zu klein ist, dann zweifeln die Kapitalmarktteilnehmer, dass sie tatsächlich ihr Geld zurückbekommen, und müssen daher hohe Zinsen verlangen. Die Kapazität müsste größer sein, um hohe Zinsen und damit noch größere Schwierigkeiten für Italien zu vermeiden."

Bank will ESM nicht bevorzugt behandelt sehen

Die Eurostaaten vollführten beim ESM einen heiklen Balanceakt zwischen den Kapitalmärkten und ihren Steuerzahlern, geht aus einer soeben im Internet aufgetauchten Analyse einer US-Großbank hervor. Während die Politiker "ihre Wähler überzeugen müssen, dass deren Risiko begrenzt ist und ihre Interessen vorrangig sind", dürften andererseits auch die Fonds nicht den Eindruck bekommen, dass sie gegenüber dem Europäischen Stabilitätsmechanismus benachteiligt würden. Ansonsten würden diese die vom ESM angebotenen Bonds nämlich nicht kaufen, schildern die beiden Citi-Analysten Michael Hampden-Turner und Matt King die Szenerie.

Als Problemlösung verfolgten die europäischen Politiker einen "Mittelweg": Mittels "subtiler Formulierungen" werde gar kein rechtlich unanfechtbarer Anspruch auf eine bevorzugte Behandlung des ESM erhoben, womit man sich Investorengruppen empfehle, in nachrangige Anleihen gar nicht investieren dürften. Auf der anderen Seite bereite man eine "De-facto-Vorrangigkeit" des ESM für Pleitefälle vor. (APA/red, derStandard.at, 5.7.2012)