Martinus Veltman sprach in Lindau von weltumspannenden Forschungsfragen in der Physik und sparte nicht mit Kritik am Cern.

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Harsche Worte ließ der niederländische Physik-Nobelpreisträger Martinus Veltman einen Tag vor der Präsentation der Cern-Ergebnisse verlauten. Das Kernforschungszentrum, das ein neues Teilchen gefunden hat und annimmt, dass es sich dabei um das lange gesuchte, für Masse verantwortliche Higgs-Boson handelt, verlaufe sich in lächerliche PR-Aktionen, sagt der Forscher beim alljährlichen Nobelpreisträger-Treffen in Lindau gegenüber scilogs.de. Mit der Entdeckung des Teilchens würde man nur die Tür des Standardmodells schließen, nichts weiter.

Die kritischen Aussagen von Veltman und anderen Laureaten beweisen: Die teils betagten Wissenschafter kommen nicht nur an den Bodensee, um sich als Geistesgrößen bewundern zu lassen. Sie suchen die inhaltliche Auseinandersetzung mit Forschungsthemen und stellen sich wie jedes Jahr der Diskussion mit jungen Wissenschaftern und Studenten.

Klimawandel und alternative Energien

Die Themen des heurigen, noch bis 6. Juli laufenden Treffens sind auch nicht nur Fragen der Teilchenphysik: Die Laureaten beschäftigen sich mit dem Klimawandel, hinterfragen beschwichtigende Analysen genauso wie den Alarmismus und stellen alternative Energieformen zur Diskussion und auch infrage. Hartmut Michel etwa, Nobelpreisträger für die Erforschung der Moleküle, die an der Fotosynthese beteiligt sind, sagte, dass die Energiezukunft nicht in der Nutzung von Biomasse liege, und hielt ein Plädoyer für die Sonnenenergie.

Der "Spirit of Lindau", den Bettina Bernadotte, Präsidentin des Lindau-Kuratoriums beschwor, hat auch einen in der Nazizeit aus Wien vertriebenen Wissenschafter zum wiederholten Mal an den Bodensee geführt: Der US-Physiker Walter Kohn, 1998 ausgezeichnet, spricht am Donnerstag, über ein Projekt in dem sich Physiker mit Makula-Degeneration beschäftigen, der Hauptursache für Alterserblindung.

Den "Spirit" durften aber auch VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch und Tony Tan, Präsident von Singapur, spüren. Sie wurden in den Ehrensenat des Treffens gewählt. Singapur durfte dann einen Abend lang seinen Geist in Lindau verbreiten. Mit Vorträgen von Quantenphysikern und einer nicht enden wollenden Schleife an Tourismusvideos und Selbstbelobigungen. Am Ende sang eine Folkloregruppe von erreichbaren Zielen. In den Gesichtern einiger Wissenschafter war ein mildes Lächeln zu entdecken. (Peter Illetschko aus Lindau, DER STANDARD, 5.7.2012)