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Anne-Marie Slaughter 2010 mit Ex-Präsident Bill Clinton.

Foto: REUTERS/Lucas Jackson

Jahrelang hat Anne-Marie Slaughter Frauen belächelt, die Karriere und Familie nicht unter einen Hut bringen konnten. Überlegen hat sie sich jenen Frauen gefühlt, die sich mehr Zeit für ihre Kinder nehmen wollten und den Anstrengungen des Berufsalltags scheinbar nicht gewachsen waren. Sie, die erfolgreiche Princeton-Professorin und Dekanin der Woodrow Wilson School of Public and International Affairs, hat es immerhin auch geschafft, all ihren Verpflichtungen als Politikwissenschaftlerin und Mutter zweier Söhne nachzukommen. Alles ist möglich für die moderne Frau, solange sie sich nur anstrengt und organisiert.

Nun hat Slaughter öffentlich "aufgegeben". Zwei Jahre lang leitete sie den Planungsstab im US-Außenministerium und war damit die erste Frau in dieser Position. 2011 kehrte sie nach Princeton zurück, ohne Reue. In der aktuellen Titelgeschichte des Monatsmagazins "Atlantic" erklärt sie, warum, und stößt Feministinnen vor den Kopf. In ihrem Artikel "Why Women Still Can't Have it All" beschreibt Slaughter, wie sie jahrelang jungen Frauen predigte, dass sie alles haben könnten, und sie damit indirekt beschuldigte, nicht hart genug zu arbeiten, wenn sie dabei versagten.

Nach zwei Jahren im US-Außenministerium, Tagesabläufen, die um 4 Uhr morgens starten, und einer Fünf-Tage-Woche, die sie abseits ihrer zwei pubertierenden Söhne verbringt, hat sich ihr Standpunkt anscheinend verändert. Die feministischen Mantras, mit denen sie aufgewachsen war, hält Slaughter mittlerweile für überholt: "Es ist möglich, wenn du dich anstrengst", "Es ist möglich, solange du den richtigen Partner hast, der alle Verpflichtungen mit dir teilt" und "Es ist möglich, wenn du nur richtig planst." Um Familie und Beruf zu vereinbaren, sagt sie jetzt, bedürfe es mehr als Willensstärke, eines geduldigen Ehemanns und des idealen Fünfjahresplans, der festlegt, wann es Zeit ist zu gebären und wann nicht.

Viele Kollegen sind verärgert über Slaughters Artikel. Es sei entmutigend für die junge Generation, von einer erfolgreichen Frau wie Slaughter zu hören, dass sie nicht alles haben können. Dabei verlangt Slaughter ja nicht, sich für das eine oder das andere zu entscheiden, sondern lediglich, Müttern und Vätern mehr Flexibilität am Arbeitsplatz zuzugestehen, Erfolg neu zu definieren und im Prinzip das gesamte Wertekonzept der amerikanischen Gesellschaft zu überdenken. Nichts einfacher als das. (Solmaz Khorsand, derStandard.at, 3.7.2012)