Cloud-Gaming könnte PlayStation-Games auf alle Plattformen bringen.

Foto: Gaikai

Man stelle sich für eine Sekunde vor, wie aufregend es wäre, im Bus das Tablet anzuschalten und "God of War 5" oder "Killzone 7" zocken zu können. Kommt man zuhause an, aktiviert man die "PlayStation 4" und spielt genau an der Stelle weiter, an der man gerade eben aufgehört hat. Und so unglaublich es aus heutiger Sicht für die meisten Mini-Games spielenden iPhone- und Android-Anwender klingt: Die dahinterstehende Technologie ist keine Zukunftsmusik mehr. Das scheinbar magische Konzept nennt sich "Cloud-Gaming".

Games überall

Zahlreiche Branchenbeobachter sehen in Cloud-Gaming die Zukunft der Videospiele. Hierbei werden die Inhalte sowie alle Informationen zur Steuerung und Interaktion eines Spiels von einem Server über das Internet an eine Konsole, einen PC, einen Fernseher oder ein mobiles Endgerät übermittelt. Der große Vorteil: Das Angebot ist weitgehend plattformunabhängig, auf Anwenderseite wird keine starke Hardware benötigt. Anstelle dessen übernehmen die Rechenzentren des Anbieters die Berechnung der 3D-Welten.

Das alles funktioniert bereits und ist aktuell dennoch einer recht kleinen Kundschaft vorbehalten. Denn, Voraussetzung dafür ist, dass man über eine konstant schnelle Internetanbindung verfügt. Für Shooter und andere präzise Erlebnisse sind mindesten 5 Mbit/s notwendig. Tests zeigen, dass für flotte Games wie Shooter oder Rennspiele sogar 10 bis 15 Mbit/s gut wären, um Verzögerungen bei der Steuerung und grafische Einbußen auszuschließen.

Rosige Aussichten

Dadurch beschränkt sich die Zielgruppe der führenden Anbieter Gaikai und OnLive derzeit auf Anwender, die Zugang zu Kabel- oder Glasfaser-Anbindungen haben oder bereits mobiles Internet über LTE nutzen können. Dennoch, so klein der Markt 2012 ist, der absehbare Fortschritt in der Telekommunikation macht "Cloud-Gaming" zu einem der größten Hoffnungsträger der Branche.

Davon überzeugt, packte Sony als erster der drei Konsolenhersteller die Goldgräberstimmung. Für rund 380 Millionen US-Dollar wird der japanische Elektronikkonzern, wie berichtet, Gaikai übernehmen und will damit sein reichhaltiges Videospielangebot erweitern. Doch was steckt genau hinter dem geplanten "neuen Streaming-Dienst für Games" und welche Möglichkeiten ergeben sich für Spieler und Spielhersteller dadurch?

Plan auf viele Jahre

Allgemein zu berücksichtigen ist, dass die Akquisition kein Schnellschuss war. Mit der Übernahme erwirbt Sony einerseits das wertvolle Know-How des Gaikai-Teams rund um Branchenveteran und CEO David Perry und andererseits sichert man sich die komplette Infrastruktur und die weltweit aufgestellten Datenzentren des Streaming-Spezialisten. Ziel ist es, ein eigenes Streaming-Angebot rund um die vielschichtigen Inhalte des PlayStation-Universums aufzubauen, das eines Tages PlayStation-Spiele an Millionen bestehende und neue Kunden liefert.

Welche Plattformen genau zum Zug kommen, verriet man noch nicht. Vorangegangenen Gerüchten zufolge solle Cloud-Gaming aber ein integraler Bestandteil der PlayStation 4 werden, die für 2013/2014 erwartet wird. Sony ist mit seinen Gaming-Angeboten über PlayStation Mobile mittlerweile aber auch auf mobilen Endgeräten wie Smartphones und Tablets zuhause. Theoretisch stehen dem Dienst daher keine Plattformbeschränkungen im Wege. Fernseher und Blu-ray-Player eignen sich für das Games-Streaming.

Hürden und Zeit

Der Aufbau einer Infrastruktur braucht Zeit, vor allem dann, wenn Sony sein gesamtes Portfolio über die Cloud zur Verfügung stellen möchte. Man kann davon ausgehen, dass die Rechenzentren von Gaikai stark genug sind, um PS One- und PS2-Spiele zu emulieren und auf Wunsch in HD auszuliefern. Bei aktuellen PS3-Werken ist es schon nicht mehr so einfach. Das Problem ist, dass die PS3 eine Proprietäre Architektur rund um Sony Cell-Prozessor nutzt, die Gaikais Server nicht unterstützen. Dies bedeutet, dass Sony erst an einer eigenen Lösung arbeiten muss, bevor "Uncharted 3" und Co. via Streaming in die Wohnzimmer flattern. Bei PS4-Games sieht es zumindest in der Theorie besser aus. Nachdem die kommende Konsole erst in Entwicklung ist, bleibt Zeit, ein kohärentes System für Cloud und Konsole zu konzipieren.

Geht man von einem PS4-Start Ende 2013 aus, haben die Ingenieure noch über ein Jahr Zeit, um an einer Lösung zu basteln. Und selbst wenn es länger dauern sollte: Bis die breite Masse über 10 Mbit/s schnelle Internetverbindungen verfügt, werden noch einige Weihnachten vorüberziehen.

Vorteile auf beiden Seiten

Das bedeutet gleichzeitig, dass die PS4 mit Sicherheit keine reine Streaming-Plattform sein wird. Spiele für die nächste Sony-Konsole werden wie gehabt vorrangig als Blu-ray oder per Download vertrieben. Doch die Option Cloud-Gaming bringt sowohl für Anbieter als auch Konsumenten zahlreiche Vorteile.

Anwender haben unmittelbaren Zugang zu neuen und alten Games und müssen dafür weder ins Geschäft gehen, noch auf den Download großer Datenmengen warten. Per Knopfdruck steigt man in eine Demo ein oder startet unmittelbar ein neues Vollpreis-Abenteuer. Updates oder Installationen müssen zu keinem Zeitpunkt vorgenommen werden.

Die Betreiber können wiederum flexibler in der Preisgestaltung sein und neben einmaligen Käufen Abo-Systeme oder werbefinanzierte Modelle etablieren. Zudem sparen sie sich die Kosten für den Vertrieb und können im Hinblick auf Piraterie genau kontrollieren, wer Zugriff auf die Inhalte hat. Updates lassen sich im Hintergrund einspielen und vom Konzept her können mit der Zeit auch ganze Generationssprünge vollzogen werden, ohne teure Konsumenten-Hardware erzeugen zu müssen. Die Flexibilität der Cloud könnte eine PlayStation 5 obsolet machen. Könnte.

Ein Sony

Aus konzernstrategischer Sicht ist der Aufbau eines Streaming-Dienstes nicht weniger als ein Hoffnungsträger. Nach vier negativen Geschäftsjahren in Folge, hat Sony 2012 seinen Wandel zu einem einheitlich arbeitenden Unternehmen eingeleitet. Unter der Führung des ehemaligen PlayStation-Chefs Kazuo Hirai soll der wankelnde Gigant zurück auf Kurs gebracht werden und sich auf wenige Geschäftszweige - darunter TV, Mobilfunk und Games - konzentrieren. Entscheidend dafür ist die Zusammenarbeit untereinander. Das vielseitige Portfolio aus Medienangeboten und Elektronik müsse zusammengeführt und gemeinsam gegen Mitbewerber ins Feld geführt werden. Daher liegt nahe, dass Cloud-Gaming PlayStation-Games in Zukunft auch auf Sonys Smartphones, Tablets, Fernseher und Blu-ray-Player bringen wird. Die PlayStation-Sparte hätte damit ein ungleich größeres Spielfeld als jetzt mit PS3 und PS Vita für sich.

"Genialer Schachzug"

Analysten stimmt die Übernahme weitgehend zuversichtlich. "Zweifellos war es ein genialer Schachzug von Sony", sagt Jesse Divnich von EEDAR gegenüber GameIndustry. "Ich glaube, dass viele in der Industrie die Tragweite dieser Akquisition nicht realisieren. Sie werden das gesamte Potenzial der Gaikai-Übernahme nicht unmittelbar ausschöpfen können, aber ich denke, dass niemand daran zweifelt, dass die Cloud in fünf Jahren das dominante Vertriebssystem der Unterhaltungsbranche sein wird."    

Laut Billy Pidgeon von M2 Research könnte Cloud-Gaming nicht nur für die nächste Konsolengeneration wichtig sein. "Kurzfristig wird Gaikais Cloud-Gaming-Dienst Sony helfen, PS3-Spiele-Demos auszuliefern und den Katalog an PS One- und PS2-Titeln an die Kunden heranzutragen. Es mag widersprüchlich klingen, doch ich denke, Sony sollte Gaikai auch nutzen, um Konsolen zu umschiffen und PlayStation-Spiele auf PC, Tablets, Smartphones und Fernsehern anzubieten."

Die Konkurrenz schläft nicht

Wenngleich Sony den ersten medienwirksamen Schritt in die Gaming-Cloud gemacht hat, heißt das nicht, dass die Konkurrenz tatenlos zusehen wird. Mitbewerber Microsoft betont, dass die Cloud "eine Schlüsselkomponente" der Xbox-Strategie ist und "große Investitionen" in diesem Bereich erfolgen. "Wir haben uns dazu verpflichtet, ein plattformübergreifendes Unterhaltungserlebnis zu bieten, das mit Xbox, Windows Phone, Windows 8 und anderen populären Geräten verknüpft ist und werden in diesen Bereich in Zukunft noch für weitere Innovationen sorgen", so ein nicht namentlich genannter Unternehmenssprecher.

Unterdessen kamen Gerüchte auf, wonach Microsoft den Gaikai-Konkurrenten OnLive übernehmen könnte. Analysten rechnen jedoch, dass der Softwarehersteller sein Cloud-Gaming-Angebot intern vorantreiben wird. "Natürlich müssen sie etwas tun. Aber Microsoft muss nicht zwingender Weise OnLive übernehmen. Es kommt wirklich darauf an, wie OnLives Technologie mit Microsofts internen Entwicklungen zusammenpasst.", meint David Cole von DFC Intelligence. "Ich glaube nicht, dass Microsoft OnLive kaufen wird.", sagt Michael Pachter von Wedbush Morgan Securities. "Nintendo wird überhaupt nichts machen." (Zsolt Wilhelm, derStandard.at, 8.7.2012)