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Noch kann das Projekt Rettungsschirm zumindest theoretisch scheitern. Die dafür notwendigen Länder haben ihn noch nicht alle ratifiziert.

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Wien - Der permanente Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) soll schon in den nächsten Wochen seine Arbeit aufnehmen - nämlich sobald Länder, die zusammen 90 Prozent der Stammanteile gezeichnet haben, ratifiziert haben. Mit einer Verleihkapazität von zunächst 500 Milliarden Euro sollen Euro-Krisenstaaten vor den Folgen hoher Anleihezinsen bewahrt werden. Kombiniert mit noch vorhandenen Mitteln im fortbestehenden provisorischen Rettungsschirm EFSF ergibt sich vorübergehend ein Euro-Schutzwall von rund 740 Milliarden Euro.

Sozialdemokraten, ÖVP und Grüne werden am kommenden Mittwoch mit Zweidrittelmehrheit den ESM beschließen, der die Republik zunächst 2,2 Milliarden Euro an direkten Kapitaleinschüssen sowie weitere 17,3 Milliarden Euro am Kapitalzusagen abverlangen wird. Zusammen mit den Haftungszusagen für den provisorischen Rettungsschirm entsprechen die seit 2010 eingegangenen Eventualverbindlichkeiten einem Fünftel der seit in den vergangenen 50 Jahren angesammelten offiziellen Staatsschulden. Der EFSF (und damit die eingegangenen Haftungen) werden eigenständig noch bis wenigstens Juni 2013 weiterbestehen.

Maßnahmen des Schutzschirms

Der ESM-Vertrag ermöglicht Maßnahmen, die eine Vereinbarung zwischen dem hilfesuchenden Staat und der sogenannten "Troika" (EU/EZB und ev. IWF) notwendig machen würden: Vorsorgliche Kreditlinien an Staaten, Kredite zur Rekapitalisierung für den insolvenzbedrohten Bankensektor sowie einen Einstieg in die gemeinsame Schuldenfinanzierung, direkt am sogenannten Primärmarkt sowie im Wertpapierhandel (Sekundärmarkt).

Der Gipfel hat am Donnerstag vergangener Woche den Krisenstaaten bereits den erleichterten Zugang zu den Rettungsfonds in Aussicht gestellt, machen Kritiker geltend. Den Spaniern wurde zugesagt, sie könnten ab Ende 2012 ihre Banken ohne Umweg über den Staat und ohne zusätzliche Auflagen mit bis zu 100 Milliarden Euro an frischem Kapital ausstatten lassen. Die von den Steuerzahlern garantierten spanischen ESM-Schulden werden ferner keine vorrangige Stellung mehr genießen. Den Iren, deren Banken-Situation Ähnlichkeit mit Spanien aufweist, wurde Gleichbehandlung mit Madrid zugesichert und mittlerweile will auch Athen bereits aufgelaufene Milliardenausgaben für seine Banken angerechnet wissen.

Kritisierter Mechanismus

Italiens Regierungschef Mario Monti hat nach eigenen Aussagen baldige Hilfe bei der italienischen Staatsfinanzierung in die Wege geleitet, ohne dass ihm "die Troika ins Haus kommen" müsse. Die Euro-Finanzminister sollen bis zum kommenden Montag Details über den erleichterten Zugang vorlegen. Die Konditionalität könnte darauf hinauslaufen, künftig die Empfehlungen der EU-Kommission zu beachten, wird spekuliert. Ungeachtet der sich abzeichnenden Veränderungen hat der österreichische Bundeskanzler bereits vergangene Woche versichert, dass die noch nicht ratifizierten ESM-Verträge keine weiteren Beschlüsse notwendig machten.

Kritik am ESM-Vertrag entzündete sich weiters an der weitgehenden Immunität der ESM-Funktionäre in Bezug auf ihre Amtshandlungen, Schriftstücke und Unterlagen sowie an der ihnen auferlegten Schweigepflicht. Finanzminister (ESM-Gouverneure) haben laut Begleitgesetz aber Informationspflichten gegenüber den nationalen Parlamenten und müssen in wesentlichen Dingen (Kapitalaufstockung, Erhöhung der Darlehens-Summe, neue Finanzhilfeinstrumente) von zwei parlamentarischen Ausschüssen ermächtigt werden.

Immerhin kann der Ausschuss - mit einfacher Mehrheit - der Finanzministerin auch die Zustimmung zum Abruf von bereits genehmigtem Kapital untersagen. Die Zustimmung würde aber Einstimmigkeit im ESM-Gouverneursrat erfordern. Gerät der ESM in Zahlungsnot, kann freilich schon das Direktorium (Management) die unwiderrufliche Bezahlung des ausstehenden Betrags binnen sieben Tagen verlangen. 

Scheitern noch möglich

Auch wenn Österreich den ESM am Mittwoch im Parlament verabschieden will, könnte sich der für 9. Juli geplante Start verzögern. Denn Voraussetzung ist die Zustimmung von so vielen Euro-Ländern, dass mindestens 90 Prozent des eingezahlten Kapitals vertreten sind. Ohne Deutschland mit einem Anteil von 27 Prozent oder Italien mit 18 Prozent kann der ESM daher nicht in Kraft treten. In beiden Ländern ist die Ratifizierung des Vertrages noch nicht abgeschlossen.

Offen sind zudem noch Irland, Estland und Malta. Da diese Staaten zusammen jedoch lediglich auf einen Anteil von rund zwei Prozent kommen, könnte der Stabilitätsmechanismus auch ohne ihre Beteiligung seine Arbeit aufnehmen.

Deutsches Gericht entscheidet am 10. Juli

In Irland und Estland warten die Politiker noch auf eine Entscheidung der Gerichte. In Irland soll die Justiz voraussichtlich am 9. Juli über den Antrag auf eine Volksabstimmung zum ESM entscheiden, in Estland wird für 12. Juli ein Urteil des Verfassungsgerichts erwartet. Auch in Deutschland, wo sich die beiden Parlamentskammern am 29. Juni mit eindeutiger Zwei-Drittel-Mehrheit für den Stabilitätsmechanismus aussprachen, könnte ein Veto des Verfassungsgerichtshofes die Ratifizierung noch stoppen. Das Gericht entscheidet am 10. Juli.

Ausständig ist eine Entscheidung über den ESM auch noch in den Niederlanden, wo die Zustimmung als Formsache gilt, und in Italien, wo die zweite Parlamentskammer frühestens Mitte Juli darüber abstimmen wird. In Österreich ist für Mittwoch eine Verabschiedung im Parlament geplant, nachdem die Grünen Montagfrüh ihre Zustimmung angekündigt haben.

Bereits vor längerer Zeit haben Frankreich, Griechenland, Portugal, Finnland, Slowenien und Belgien den ESM ratifiziert. Kurz vor dem EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs Ende Juni folgten auch die Slowakei, Luxemburg, Zypern, Spanien und Polen, das sich beteiligt ohne Mitglied der Eurozone zu sein. (APA, 2.7.2012)