Gleich zwei neue Nexus-Geräte gab es zur Google I/O 2012 - auch sonst scheint Google die eigene Hardwareentwicklung forcieren zu wollen.

Foto: Andreas Proschofsky / derStandard.at

Zum mittlerweile fünften Mal hatte der Softwarehersteller Google vergangenen Woche zu seiner I/O-Konferenz geladen. 6.000 EntwicklerInnen und PressevertreterInnen waren gekommen - und wurden im Verlauf der drei Tage langen Veranstaltung alles andere als enttäuscht - sowohl was die Ankündigung von Neuerungen, als auch die Qualität der Vorträge oder das Auftreten des Unternehmens betrifft.

Spekulationen im Vorfeld

Doch im Einzelnen: Viel war im Vorfeld darüber spekuliert worden, was denn Google zur I/O vorstellen würde, ein Spielchen an dem sich auch der WebStandard im Vorfeld mit einem ausführlichen Artikel beteiligt hat. Doch Google schaffte es nicht nur, diese ohnehin schon sehr lange Liste praktisch zur Gänze zu erfüllen, sondern sie in vielerlei Hinsicht gar zu übertreffen.

Überraschungen

Ein Beispiel: Während das Nexus 7 fast bis ins Detail bekannt war, ist es Google gelungen die Neuerungen von Android 4.1 vorab weitgehend geheim zu halten. So überraschte es doch, dass "Jelly Bean" nur etwas mehr als sechs Monate nach "Ice Cream Sandwich" schon wieder mit wirklich signifikanten Neuerungen aufwarten kann. Ein Beispiel: Viele hatten die Integration der "natürlichen Spracheingabe" a la Siri erst für einen späteren Zeitpunkt erwartet, Google hat sie nun aber bereits mit Android 4.1 geliefert. Dazu kommen dann noch das "Project Butter", das wirklich spürbare Verbesserungen an der Performance bringt, und natürlich "Google Now", das nicht weniger erreichen soll, als Antworten auf Fragen zu liefern, die die NutzerInnen noch gar nicht gestellt haben.

Nexus Q

Für einige Verblüffung sorgte auch das Nexus Q, ist es doch eigentlich ein durch und durch Google-untypisches Gerät, ein Stück Hardware, das viele eher von Apple erwartet hätten. Und das nicht nur deswegen, weil Google hier sehr viel Wert auf außergewöhnliches Design gelegt hat, sondern auch - und das war in den Reaktione der US-Presse quasi Kernthema - weil der relativ hoch angesetzte Preis (299 US-Dollar) des Nexus Q zu einem guten Teil daraus resultiert, dass es in den USA produziert wird, anstatt die Fertigung wie gewohnt an Niedriglohnländer auszulagern. Über ähnliche Schritte hatte Apple immer wieder mal halblaut nachgedacht, Google setzt es nun aber in die Tat um.

Auftreten

Apropos Apple: Wenn es etwas gibt, das jenes Selbstbewusstsein, mit dem Google derzeit agiert, versinnbildlicht, dann ist es der Umstand, dass der Hauptkonkurrent im mobilen Bereich in Googles Keynotes mit keinem einzigen Wort erwähnt wurde. Keine Vergleich, keine Scherzchen, kein "schlecht machen", wie es so oft unerfreulicher Teil von Tech-Keynotes ist. Google will nicht gegen andere antreten, sondern einfach einen eigenen Weg gehen - das ist die unausgesprochene Message, wie man sie sonst nur von der Konkurrenz aus Cupertino kennt.

Eigene Hardware

Betrachtet man die Google I/O 2012 sticht aber noch etwas anderes heraus: Google versucht offensichtlich immer stärker in das Hardwaregeschäft vorzudringen, forciert dabei die eigene Nexus-Marke und legt gleichzeitig immer stärkeren Wert auf Design - und zwar sowohl bei Soft- als auch bei Hardware. So hatte das Android-Design-Team selbst über das Äußere des Nexus 7 die volle Kontrolle, und solch ein stylisches Gerät wie das Nexus Q hätte bis vor kurzem wohl niemand von Google erwartet. Dazu passt, dass der der Nexus-"Brand" heuer viel stärker auf der Konferenz vertreten war als noch im Vorjahr, gleich an mehreren Stellen prangte dieser Schriftzug. Und diese Markenfokussierung ist auch in der Software feststellbar, prangt das Nexus-Logo doch nun (wieder) deutlich sichtbar im Boot-Vorgang der mit "Jelly Bean" ausgestatteten Google-Geräte.

Ausgeblendet

Ebenfalls in die Kategorie "starke Ansagen" fällt, dass man eine ganze Reihe der in der letzten Woche vorgenommenen Neuerungen in den I/O-Keynotes nicht einmal erwähnte. Da wäre etwa der Launch der neuen Google-Earth-App, die immerhin einen - in den letzten Wochen im Zusammenhang mit Apples iOS Maps viel diskutierten - vollständig neuen, und tatsächlich ziemlich beeindruckenden 3D-Modus bringt. Oder auch die massive Ausweitung der Möglichkeiten des Entwicklungskits für Google Drive.

Wer wagt...

Und nicht zuletzt strahlt es Selbstvertrauen aus, wenn sich ein Unternehmen ernsthaft traut, in die wichtigste Keynote des ganzen Jahres einen Act einzubauen, der geradezu danach schreit dass etwas schief geht. Wo andere darauf achten, das alles bis ins klitzekleinste Detail mehrfach abgesichert ist, schickt Google-Gründer Sergey Brin einfach so mal ein paar Fallschirmspringer aus einem Zeppelin, lässt sie die experimentellen Google Glasses tragen und die dabei erzeugten Bilder live in einen Google+ Hangout übertragen. Dass all dies ohne jegliche Pannen abgelaufen ist (und zwar gleich zweimal) grenzt an ein mittleres Wunder, wird dafür aber mit einem Auftritt belohnt, der allen Anwesenden wohl noch länger in Erinnerung bleiben wird. Blogger Robert Scoble nannte die ganze Aktion das wohl beste Tech-Demo, das er in seinen 47 Jahren in der Branche erlebt hat.

...gewinnt

Zu solch gelungenen Auftritten gehört natürlich eine gewisse Portion Glück, und die könnten zynische MarktbeobachterInnen Google auch an anderer Stelle attestieren: Nur einen Tag nachdem Google seine neue "Compute Engine" vorgestellt hat, mit der man in direkte Konkurrenz zu Amazon EC2 tritt, verursacht ein heftiger Sturm einen Ausfall der Cloud-Infrastruktur der Konkurrenz - und nimmt so Instagram, Pinterest und Netflix für Stunden offline. Eine bessere Werbung für das Verteilen der Infrastruktur auf mehrere Anbieter oder zumindest rein räumlich weit verteilte Standorte hätte man eigentlich gar nicht bekommen können.

Content

Die einzige kleine Enttäuschung der Google I/O war vielleicht das Fehlen jeglicher Ankündigungen im Bereich Verkauf von Inhalten. So manche hatten hier darauf gehofft, dass Google endlich mit einem großen Wurf die Blockade der Content-Industrie hinter sich lassen könnte, davon scheint man aber weiterhin ein Stück entfernt zu sein. Andererseits ist so eine Konferenz jetzt auch nicht der optimale Ort für solcherlei Ankündigungen, in der Vergangenheit hat Google die regionale Ausweitung ja eigentlich meist umgehend nach Abschluss der zugehörigen Verhandlungen und somit stückweise vorgenommen.

Eindruck

Zu guter Letzt bleibt die Google I/O vor allem aber auch eins: Ein großes Nerd-Treffen, bei dem es deutlich lockerer zugeht als bei ähnlichen Events anderer Softwareherstellern solcher Größe. Bleibt zu hoffen, dass sich Google diese "Jugendlichkeit" bewahrt, und nächstes Jahr eine ähnlich gelungen "I/O" hinlegen kann.

Abschluss

Der WebStandard schließt damit seine Berichterstattung von der diesjährigen I/O ab, und hofft dass sich die LeserInnen wohl informiert gefühlt haben. Auf ein Wiederlesen in Wien! (Andreas Proschofsky bald nicht mehr aus San Francisco, derStandard.at, 30.06.12)