20,4 Meter lang: die Tapisserie "The Arciconfraternity of Santa Monica, Chiesa SS. Annunziata" (2012).

Foto: Thomas Trenkler

Mit fünf, wenngleich mächtigen, Arbeiten vermag der britische Künstler Craigie Horsfield, 1949 in Cambridge geboren, die Basler Kunsthalle nicht nur bestmöglich auszukleiden: Mit einem raffinierten Beziehungsgeflecht zwischen den drei Tapisserien und den zwei Fresken zieht er den Betrachter auch sogartig in seinen Bann.

Die Ausstellung Slow Time and the Present geht, so Horsfield, von der Vorstellung aus, dass die Vergangenheit, wie wir sie begreifen, Teil der Gegenwart ist, einer Gegenwart mit Ausdehnung. Auch wenn die den Werken zugrunde liegenden Fotos beziehungsweise Filmstills aus den letzten zwölf Jahren datieren, ergeben sie ein großes Ganzes. Die Vergangenheit wirkt aber nicht nur auf die Gegenwart ein: Die eine Arbeit beeinflusst im direkten Konnex auch die Interpretation der anderen "Schinken".

Der Bilderbogen erschließt sich gegen den Uhrzeigersinn: Das erste Fresko zeigt die Besucher eines Konzerts der Band 99 Posse im Jahr 2008. In Horsfields Arrangement aber starren sie nicht auf die Bühne, die außerhalb des Ausschnitts liegt, sondern auf die Szenerie der eingestürzten Twin Towers zwei Wochen nach 9/11. In seinen düsteren Farben erinnert der fünf Meter hohe, neun Meter lange Wandteppich sowohl an Turner wie auch die Fotos zerbombter Städte im Zweiten Weltkrieg.

Direkt daneben hängt eine ähnlich große Tapisserie. Zu sehen ist das traditionelle Feuerwerk über dem Golf von Neapel während der Festa di Piedigrotta. In der Nachbarschaft zu Broadway, 14th day, 18 minutes after dusk wird auch Above the Bay of Naples from Via Partenope mit den über dem Meer hängenden Rauchschwaden zu einem Schlachtengemälde.

Das zweite Fresko ist nicht nur formal mit dem ersten verwandt (es zeigt die Köpfe bei einer Christus-Prozession in Nola), sondern auch mit dem Wandgemälde The Arciconfraternity of Santa Monica, Chiesa SS. Annunziata, das sich als Gegenstück zu den Endzeitstimmungslandschaften über die gesamte Längsseite der Halle erstreckt (20,4 Meter). Thematisch geht es beide Male um Buße.

Das monströse "Bild" übt eine enorme Faszination aus. Man beobachtet, wie sich die Büßer in Sorrent ihre Ku-Klux-Klan-ähnlichen Gewänder für die Processione dell' Addolorata überstreifen. Trotz der Uniformierung bewahrt jeder einen Hauch Individualität.

Einen gelungenen Kontrast hält Horsfield auch nebenan bereit: Im Diptychon Zoo, Oxford, January 1990 schauen sich zwei Nashörner an. Sie lebten tatsächlich nebeneinander, sahen sich, getrennt durch eine Betonwand, aber in Wirklichkeit nie.  (Thomas Trenkler aus Basel, DER STANDARD, 28.6.2012)