Seit Rinaudo sein Projekt begonnen hat, sind im Niger 200 Millionen neue Bäume gewachsen.

Foto: World Vision

Niamey/Wien - Fast hätte Tony Rinaudo aufgegeben. Drei Jahre lang hatte der Australier im Niger Bäume gepflanzt, um zu verhindern, dass das Land völlig von der Wüste gefressen wird. 4000 Stecklinge hatte er jährlich gewässert, großgezogen und gesetzt. Kaum einer überlebte. "Ich hatte das Gefühl, meine Zeit zu verschwenden", sagt Rinaudo. Doch dann entdeckte er das, was er den "unterirdischen Wald" nennt. Es war der Beginn dessen, was manche Wissenschafter die "vielleicht größte positive Umweltveränderung in ganz Afrika" nennen.

Der Niger im Zentrum der Sahelzone ist eines der ärmsten Länder der Welt. Wie in vielen andere Entwicklungsländern wurde er fast gänzlich kahlgeschlagen - für Feuerholz, Baumaterial oder um das Holz zu verkaufen. Für die Landwirtschaft hat das katastrophale Folgen.

Bäume pflanzen war "teurer Fehler"

Ohne Bäume trägt der Wind die fruchtbare Schicht des Bodens viel schneller ab. Ohne den Schatten ihrer Kronen und ihre Wurzeln trocknet der Boden schneller aus, ohne die Tiere, die in ihnen nisten, breiten sich Schädlinge ungehindert aus. Wo keine Bäume mehr stehen, verödet der Boden und sinkt der Ernteertrag - was tödlich ist in einem Land, dessen Bewohner hauptsächlich von der Subsistenzwirtschaft leben.

Jahrelang versuchten NGOs daher dabei zu helfen, den Niger wieder zu begrünen, indem sie neue Bäume pflanzten. Auch Rinaudo kam deswegen in das Land, als Mitarbeiter der Hilfsorganisation World Vision. "Was wir damals gemacht haben, war ein teurer Fehler", sagt er. Die gepflanzten Bäume überlebten die Trockenzeiten nicht, sie wurden vom Vieh gefressen, oder aber Bauern kümmerten sich nicht um die Stecklinge. Dann entdeckte Rinaudo, dass er gar keine neuen Bäume pflanzen musste, um die Verwüstung zu stoppen. Die alten waren nie ganz verschwunden.

Bäume statt Unkraut

Jedes Jahr wuchert auf den nigrischen Feldern Gestrüpp, das die Bauern vor dem Säen niederbrannten. Doch was sie und Rinaudo für Unkraut hielten, waren in Wirklichkeit Sprösslinge aus den Strünken der einst gefällten Bäume. "Es gab einen riesigen unterirdischen Wald, den wir nur nach oben holen mussten", sagt Rinaudo. Was schwieriger war als gedacht.

1983, als das Projekt begonnen hatte, konnte er nur zehn Farmer überzeugen, manche der Sprösslinge stehen zu lassen - zu sehr war es entgegen der Tradition im Niger, auf den Feldern Bäume zu dulden. Die ersten Bauern wurden ausgelacht, doch als das Projekt über die Jahre erfolgreich war, zogen immer mehr nach. Die Bauern erzählten es ihren Nachbarn, Dorfchefs anderen Gemeindeoberhäuptern - die Begrünung hatte sich verselbstständigt.

200 Millionen Bäume nachgewachsen

Seit Rinaudo sein Projekt begonnen hat, sind im Niger 200 Millionen neue Bäume gewachsen, sie stehen heute auf jedem zweiten Feld. Die Erträge der Bauern haben sich verdoppelt, und wenn die Ernte einmal trotzdem etwa wegen Schädlingen ausfällt, liefern die Bäume Früchte und Feuerholz, das man verkaufen kann.

World Vision hat das Projekt auf acht afrikanische und drei asiatische Länder ausgeweitet. Die aktuelle Krise in der Sahelzone könnte das Interesse an der Aufforstungsmethode steigern: Jene Gegenden des Niger, in denen besonders viele Bäume auf den Feldern stehen, sind weit weniger von Hunger betroffen als jene ohne Begrünung. (Tobias Müller, DER STANDARD, 28.6.2012)