Mit dem Megarummel E3 stand der Juni ganz im Zeichen des Triple-A-Mainstreams der weltgrößten Games-Messe, die dieses Jahr für einige Kontroversen gesorgt hat - vom subjektiv empfundenen Mangel an bahnbrechenden Innovationen über Unbehagen an der Gewaltfixierung der Branche bis hin zum leider nicht ganz gehaltlosen Vorwurf, manche Games und Gamer hätten ein Problem mit Sexismus. Mit "The Unfinished Swan" stand zumindest ein hoffnungsvoller Indie-Vertreter prominent auch in LA auf dem Programm - bei Erscheinen im September wird zu dem innovativen First-Person-Explorer sicher noch einiges zu sagen sein.

Großes Lebenszeichen

Im Underground der Indiegames gab es - trotz kleinerer Identitätskrisen - dafür etwas zu feiern: Mit dem Download-Release der US-Doku "Indie Game - the movie" gibt es eine weithin sichtbare und überall positiv aufgenommene Momentaufnahme einer lebendigen Szene, die ein liebevolles Porträt einer zwischen Leidenschaft und Selbstausbeutung pendelnden Subkultur zeichnet. Der Film kann übrigens hier erworben werden - der GameStandard berichtete.

"Fez" (XBox 360, 800 MS-Punkte)

Das bringt uns auch gleich zu einem Versäumnis: "Fez", Phil Fishs Indie-Plattformer für die XBox360, der eine wichtige Hauptrolle in "Indie Game - the movie" spielt, ist zwar bereits im April erschienen, bekommt aber wegen seiner Großartigkeit auch in einem Juni-Rückblick einen Ehrenplatz: Die herausfordernde und augenscheinlich mit viel Liebe und Herzblut verwirklichte Hommage an das Plattform-Game wurde zu Recht bereits mit zwei IGF-Awards ausgezeichnet und bezaubert vor allem durch seinen Style und den spielerischen Dreh, die traditionell zweidimensionale Jump'n'Run-Welt per Drehmechanismus dreidimensional zu machen. Eine absolute Empfehlung für Konsolenspieler, die im PC-dominierten Feld der Indie-Games für gewöhnlich das Nachsehen haben.

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"The Binding of Isaac - Wrath of the Lamb" (MacOS, Windows, Linux, 2,99 Euro)

Und noch ein Hauptdarsteller aus "Indie Game - the movie": Ed McMillen, im Film noch fieberhaft mit seinem Hardcore-Jump'n'Run "Super Meat Boy" beschäftigt, versorgt mit dem DLC "Wrath of the Lamb" Fans seines bereits letzten Herbst gemeinsam mit dem Tiroler Florian Himsl veröffentlichten Ausnahmespiels "The Binding of Isaac" mit massenweise Zusatzmaterial. Der aberwitzig am Rand zur Geschmacklosigkeit surfende Twin-Stick-Shooter fasziniert auch abseits seiner bizarr-abwegigen Story und seines niedlich-grotesken Comicstils dank Verankerung in der Roguelike-Tradition mit fast unendlichem Wiederspielwert und dank DLC mit noch mehr Extras, Räumen, Geheimnissen und Power-ups. (Roguelikes sind - Kenner mögen die unscharfe Definition verzeihen - spielerisch die meist komplexeren Uropas von "Diablo".) Vorsicht: Empfindsamen Zeitgenossen könnte die subversive Mischung von Religionskritik und Comic-Splatter verstören, allen anderen seien aber sowohl das Spiel als auch das unbedingt empfehlenswerte DLC ans Herz gelegt.

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"Tiny & Big: Grandpa's Leftovers" (Windows, MacOS, Linux, ca. 10 Euro)

Das erste große Indie-Projekt aus Deutschland lässt uns Berge versetzen, denn die Hauptrolle in dem unter anderem mit dem deutschen Computerspielpreis für das beste Nachwuchs-Kozept prämierten Action-Puzzler spielt der Laser, mit dem wir innovativerweise große Teile der Landschaft in Stücke sägen dürfen. Auch wenn es wegen einiger unglücklicher Designentscheidungen nicht zum ganz großen Wurf gereicht hat, sollten sich an ungewöhnlichen Games-Innovationen Interessierte zumindest per Demo ihre eigenen Meinung bilden, denn innovativ und grafisch spannend ist "Tiny & Big" allemal.

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"Cardinal Quest" (Windows, MacOS, Linux, Android, iOS, verschiedene Preise)

Apropos Roguelikes, und apropos österreichische Entwickler: Ido Yehieli erobert von Wien aus mit seiner Liebeserklärung an das altehrwürdige, aber ultra-nerdige Genre der Roguelikes so ziemlich alle Plattformen. "Cardinal Quest", im Juni endlich auch für Apples iOS erschienen, vereinfacht das als notorisch unhandlich geltende Dungeon-Crawler-Genre so elegant, dass auch Einsteiger der immer wieder neuen Monsterjagd in dunklen Kellern verfallen. Durch sinnvolles Weglassen wird so die rundenweise Eroberung immer neu zufällig berechneter Kerker samt finsteren Monstern zum taktisch herausfordernden Vergnügen für zwischendurch und immer wieder. Einen besseren Einstieg ins weite Feld dieses obskuren Subgenres kann man sich kaum wünschen.

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"Resonance" (Windows, 7,99 Euro)

Ein weiteres Highlight des Monats wird besonders Freunde klassischer Adventures freuen: Mit "Resonance" präsentieren die Insidern als Qualitätsgarant bekannten Wadjeteye Games einen meisterhaft inszenierten und spannenden SF-Politthriller, der mit seiner souverän erzählten, erwachsenen Story dem Gros der Triple-AAA-Games-Autoren die Schamesröte ins Gesicht treiben sollte. In der Tradition klassischer Lucas-Arts-Adventures wie "Monkey Island" rätselt sich der Spieler mit vier stimmig charakterisierten und professionell vertonten Charakteren durch ein atemloses Verschwörungsszenario. Grafisch liebevoll und wunderschön im traditionellen Lucas-Arts-Stil gehalten erinnert "Resonance" daran, warum dieses Subgenre einmal so viel Popularität genoss: weil es hintergründige und spannende Geschichten erzählen kann, die es mit den Thrills anderen Medien locker aufnehmen können.

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7DFPS-Challenge - First-Person-Shooter-Experimente Galore!

Experimentierer, aufgepasst: Eine fixe Einrichtung im Do-it-yourself-Eck des Indie-Gamings sind sogenannte Game Jams oder Challenges, in denen dazu aufgerufen wird, in kurzer Zeit spielfähige Games-Prototypen abzugeben. Die gerade beendete 7DFPS-Challenge forderte dazu auf, in nur einer einer Woche einen First-Person-Shooter zu basteln, und die über 100 auf der Homepage versammelten Ergebnisse sind ein Eldorado für Ideenstöberer. Neben viel Baller-Einerlei warten experimentelle Perlen wie "Flip'd" (oben im Bild), "Corpse Garden", "Deadlock" oder "Vonneguts & Glory" mit frischen Ideen en masse auf Games-Entdecker, denen Polish und Hochglanz weniger wichtig sind als neue Ideen. Die Downloads für (großteils) Windows sind natürlich kostenlos.

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Hinweise zum Schluss

Zum Abschluss der Juni-Ausgabe noch zwei Hinweise auf bemerkenswerte Projekte mit Indie-Relevanz: SF-Kultautor Neal Stephenson, bekannt durch "Snow Crash", "Cryptonomicon" und seinen "Baroque"-Zyklus, will nichts weniger als den Schwertkampf in Games revolutionieren. Mit seiner Kickstarter-Kampagne sucht der charismatische Entrepreneur nach Finanzierung für sein CLANG getauftes Eingabesystem, das zur Basis völlig neuartiger virtueller Nahkampferfahrungen werden könnte. Das Video (samt Cameo von Games-Legende Gabe Newell von Valve!) ist auf jeden Fall sehenswert.

Hinweis Nummer zwei betrifft ein bereits Realität gewordenes Liebesprojekt: Der deutsche Hörfunkjournalist Christian Schiffer hat mit bemerkenswerter Hingabe auf über 200 Seiten neuen deutschen Games-Journalismus von Bloggern und Journalisten zwischen zwei hübschen Bookzine-Deckeln zu Papier gebracht. "WASD - Texte über Games" versammelt in seiner ersten Nummer mit dem Thema "Tasty Trash" Texte für Spielfreunde, denen die Fachmagazine nichts mehr zu sagen haben. Das wunderschön gemachte Bookzine in Taschenbuchformat ist zum fairen Preis von 14,50 Euro direkt von der Homepage zu bestellen - und für Gameskultur-Interessierte ein Pflichtkauf, den man auch bei Besuch nicht schamhaft unter der Couch verstecken muss. (Rainer Sigl, derStandard.at, 27.6.2012)

Best of Indie-Games ist eine monatliche Koproduktion des GameStandard mit VideoGameTourism.at.

Nachlese

Best of Indie-Games: Die Spiele-Perlen im Mai

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