Der Autor Thomas Rottenberg aus Wien mit Antonia aus Tirol in der Türkei.

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Rudi Semrad, Michael Konsel, Hans Enn und Peter L. Eppinger sind die VIPs.

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Frankie Schinkels als Dancingstar am Strand.

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Der graue Panther ohne Leiberl und ohne Sponsoren.

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Star-DJ Avicii wurde extra eingeflogen ...

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... genauso wie die Maturanten.

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Zum Schluss, als er am Gepäckförderband in Schwechat auf seine Tasche wartete, zog Ex-Skistar Hans Enn Bilanz: "Ja, ich werde meine Tochter mitfahren lassen." Die Tochter des ehemaligen Skirennläufers ist 14 Jahre alt. So alles glattgeht, wird sie in vier Jahren maturieren. "Dann steht die Maturareise an", hatte Enn wenige Tage zuvor mit einem leisen Seufzer gesagt. "Und weil man über diese Reisen ja so einiges hört, habe ich mir gedacht: Schau es dir einmal an." Also, so der 54-Jährige aus Hinterglemm, habe er Dietmar Tunkels Einladung angenommen - und sei nun hier.

"Hier" liegt in der Türkei. In einem Ferienclub an der türkischen Riviera. Hier bespaßte Tunkel 4.000 Maturanten. Eine Woche All-inc-Dauerparty. Insgesamt wird Tunkel bis Ende Juni 12.000 Kids bei seiner "Splashline" gehabt haben. Zusammen mit den beiden Mitbewerbern "X-Jam" und "Mission to Beach" werden über 20.000 Maturanten, mehr als die Hälfte des gesamten Jahrgangs, nach dem Konzept der kollektiven Massenschulabschlussreise unterhalten worden sein. Das hatte Tunkel vor 13 Jahren entwickelt: ein Megageschäft - vor allem weil Reise und Publikum ein idealer Auftrittsort für Sponsoren sind.

VIPs werden eingeflogen

Hier kommt Hans Enn ins Spiel: Weil die Adabei-Presse zum einen die größten Reichweiten, zum anderen aber die geringste Hinterfragungsintensität aufweist, sind "Seitenblicke" und Co. bei "Eventern" begehrt. Bloß: Kids sind keine Promis. Also werden die VIPs eingeflogen.

Neben Hans Enn sind das bei Tunkel heuer unter anderen Ex-Teamtorhüter Michael Konsel und "Dancing Star" Frenkie Schinkels. Ergänzt um den für 100.000 Euro zu einem kurzen Vollplayback-Set eingeflogenen schwedischen Star-DJ Avici und einen Auftritt von Antonia aus Tirol, sind das "Köpfe" genug, um die Society-Ressorts von "Heute", "Kurier", Puls 4 und ORF antreten zu lassen. Für die Dauerbeschallung des Clubs mit seinem 1.200-Meter-Sandstrand sorgt Ö3. Peter L. Eppinger ist als Star zum Angreifen da. All das zusammen rechtfertigt sogar eine 35-minütige TV-Reportage: Dominic Heinzl reist dafür selbst an. Noch ein Promi.

Der unbekannte Hans Enn

Die Kids knipsen. Neben den Stars sind auf jedem Foto Sponsorprodukte und/oder Logos zu finden. Nicht nur in "offiziellen" Medien, sondern auch auf Millionen von Facebook-Bildern. Um zu zeigen, wie gut das funktioniert, holen die Veranstalter nicht nur die Journalisten, sondern auch Vertreter der Sponsoren. Hierher in die Sonne und zu so einem großen Event, wo das Fernsehen dabei ist, kommen dann eher selten kleine Marketingmitarbeiter. Der Network-Adabei-Kreis schließt sich.

Dass die 18-Jährigen Hans Enn nicht mehr kennen, stört da nicht. Enn weiß das: "Ein paar Jugendliche aus der Region haben mich erkannt. Aber dass mich in dieser Generation keiner mehr kennt, ist doch klar." Umso entspannter und genauer könne er sich sein "eigenes Bild machen" - und eben auch netzwerken: "Ich mache viel Skiguiding. Da nutze ich die Möglichkeiten, die sich in dieser Atmosphäre eröffnen."

Kommandounternehmen "Massenmaturareise"

Öfter als Enn wird der "Seitenblicke"-Dauergast Michael Konsel erkannt. Mangels T-Shirt muss er allerdings auf eine für ihn typische Bewegung verzichten: das obligate Anbringen der Aufkleber seiner Sponsoren auf der Oberbekleidung. Er sei, betont Konsel, mitnichten bloß als TV-Aufputz hier: "Ich möchte mit dem Didi (Tunkel, Anm.) mein Panarena-Projekt finalisieren. Heuer hat es logistisch leider nicht geklappt." (Panarena ist eine Fußball-Variante, bei der in einem Kreis von fünf Metern Durchmesser gekickt wird.)

Die Logistik solcher Events ist tatsächlich aufreibend. Das Kommandounternehmen "Massenmaturareise" funktioniert hinter den Kulissen mit militärischer Präzision und wie ein Schweizer Uhrwerk. Anders wäre es nicht möglich, solche Menschenmassen zu betreuen und zu verwalten. Allein der allsamstägliche Kids-Wechsel ist eine logistische Großtat: Da müssen binnen weniger Stunden nicht nur Tunkels Gäste an- und abreisen, auch die Maturanten der Mitbewerber werden in Sondermaschinen aus und nach ganz Österreich gebracht. Der Aufbau und der Transport von Material und Personal aus Österreich in die Türkei sind dagegen ein Kindergeburtstag - den sich die beiden Großen am Markt gegenseitig zu verderben suchen: Dietmar Tunkel ("Splashline") gegen Alexander Knechtsberger ("X-Jam"). Das ist wahre Brutalität.

Ex-Partner und Konkurrenten

Dabei waren die beiden einst Partner: Tunkel erfand vor 13 Jahren die Massenreise - freilich ohne Partyprogramm. Dafür holte er sich den König der Wiener Schul- und Studentenclubbings, Alexander Knechtsberger, an Bord. Die beiden konnten nicht lange miteinander. Heute deckt man einander gegenseitig mit Klagen und bösen Worten ein.

Knechtsbergers "X-Jam" war bis zum Vorjahr wenige Kilometer neben Tunkels "Summersplash" daheim - heuer lässt Knechtsberger anderswo feiern: in Nordzypern. Dass sein Club neben einer Militäranlage liegt, wurde für ihn zum medialen GAU. Unschwer zu erraten - aber nicht belegbar -, wer die Presse da "gefüttert" hat.

Umgekehrt lässt auch Knechtsberger wenig aus, um den Gegner madig zu machen: Als Tunkel im Vorjahr am Cover seines in Schulen verteilten Katalogs Maturanten im Pool eine Wodkaflasche nachstellen ließ, ging diese Form der Alk-Verherrlichung an Schulen bis zum Konsumentenschutz.

Nonstop-Sauf- und -Sexgelage

Keiner der beiden bedenkt bei solchen Aktionen, dass Eltern nicht zwischen "Summersplash" und "X-Jam" unterscheiden und das wechselseitige Ans-Bein-Pinkeln immer auch ein Schuss ins eigene Knie ist. Schon die Erwähnung des Namens des Gegners lässt bei beiden die Halsschlagader anschwellen. Nein, das ist keine Metapher.

Auch hier kommt Hans Enn wieder ins Spiel: Was er mit "Man hört so einiges" umschreibt, ist nämlich zum Teil Resultat dieses Konflikts. Maturareisen gelten als hemmungslose Nonstop-Sauf- und -Sexgelage. Die Bilder in den Massenmedien tragen wenig dazu bei, die Partyreise zum Bildungsurlaub umzudeuten.

Kein Wunder: Lesende Kids am Strand machen keine Quote. Also wird der Wettkampf der Veranstalter über die "Vollgas"-Schiene gespielt. Sie haben gar keine andere Wahl. Und als "Party" gilt bei der Generation "Saturday Night Fever" vor allem eines: Marken-Alkohol bei Bumbum-Musik - bis zum Abwinken.

Die Wahrheit

So weit, so schlecht. Doch um Eltern und Lehrern zu suggerieren, dass es nicht wirklich so niveaulos zugeht, lässt man über Kanäle, die von den Kids ignoriert werden, Gegenbotschaften los: Wirklich übel und so wie in der ATV-Saufgelage-Dokusoap sei es nämlich bloß beim Mitbewerber. Dazu verweist jeder auf den Katalog des jeweils anderen.

Und in Wirklichkeit? Natürlich wird getrunken. Und es gibt auch torkelnde Alk-Leichen. Bloß: Alles - wirklich alles - ist weit weniger wild, als man erwarten würde. Erst recht in einem Club, in dem Jugendliche sieben Tage lang 24 Stunden feiern. Denn alle Veranstalter haben in den letzten 13 Jahren gelernt: An den Bars bekommt man pro Bestellung maximal vier Becher. Die sind klein - und maximal halbvoll. Die Kellner sind nicht allzu schnell und der Andrang an den Bars enorm.

Sich da wirklich "die Kante" zu geben ist nicht so einfach - noch dazu, wo alle Drinks in der "Light"-Version gereicht werden: "Ich habe mir das ganz genau angeschaut", sagt etwa die Vertreterin des Wodka-Sponsors, "da ist immer höchstens die Hälfte von dem drin, was man normalerweise reingibt."

Man spielt Exzess

Das Fazit: Man spielt Exzess - aber jedes Feuerwehrfest und jeder Kirtag sind weit alkoholischer. Und körperlich unangenehmer. Für Männer wie für Frauen: Schlägereien und Pöbeleien gibt es de facto nicht. Und davon, dass sich Mädchen hier unsicher oder unwohl fühlen, gibt es auch um 4 Uhr weder am Clubgelände noch am Strand Anzeichen. Eher im Gegenteil.

Und das Orgien-Klischee? Jugendliche haben Sex. Aber nicht erst seit der Erfindung der Massenmaturareise. Doch auch Eltern, die die Erinnerung an die eigenen "wilden" Jahre heute ausblenden, dürfte eine von (aus Österreich mit angereisten) Securitys gesicherte Hotel- und Clubanlage voll Gleichaltriger als "Spielplatz" ihrer Kinder lieber sein als öffentliche Strände, an denen Herrenrunden mittleren Alters nach wehrlos-besoffenem "Frischfleisch" für die Gruppe suchen.

Auf Kommando hüpfen

Dabei sind die Kids grosso modo ohnehin Lämmer: "Meine Klassenkollegen und ich wären hier vermutlich sofort heimgeschickt worden", staunt Veranstalter Dietmar Tunkel selbst immer wieder über Angepasstheit und Folgsamkeit seiner Gäste. Und bestätigt, dass auch er den Eindruck habe, dass die Kids immer braver und angepasster werden: Kurt Cobains "Here we are now - entertain us" gelte wörtlich - ohne jede Spur von Ironie oder Meta-Botschaft. "Zwölf Jahre Schule zeigen eben Wirkung", weiß Ö3-Moderator und Vor-Ort-Entertainer Peter L. Eppinger, "die tun einfach alles, was man ihnen sagt." Manchmal mache ihm das Angst: "Wenn alle auf Kommando hüpfen, ist das hier eine harmlose Party - aber so funktioniert auch Faschismus."

Umso wichtiger sei es, dass auch in der "Brave New World" der Neverending Party, im Teenie-Xanadu unendlicher Fröhlichkeit, nicht vergessen wird, dass es sogar hier noch eine echte Welt gibt. Mit Heimweh, Liebeskummer, Unsicherheit und Existenz- oder Zukunftsängsten.

Seelsorgerin mit dabei

Darum gibt es heuer beim "Summersplash" erstmals auch Sozialarbeit: Eine Seelsorgerin steht rund um die Uhr zur Verfügung. "Wir hatten jedes Jahr immer wieder Jugendliche, die mit nicht diagnostizierbaren Wehwehchen zu unseren Ärzten kamen", erklärt Peter Hiesberger von der Europäischen Reisversicherung. "Da wird jedem rasch klar, dass es da um ganz andere Probleme geht."

Nämlich um die des wirklichen Lebens. Denn die Zäsur, die die Matura für Jugendliche darstellt, sei gewaltig, erklärt Katharina Brandstetter. Nicht jeder könne durch oder während einer langen Party so tun, als sei alles so locker und leicht, wie es Lifestylemedien und Imageerwartungen vorgeben:

"Jugendliche stehen unter einem enormen Druck zu entsprechen. Gerade an einem Ort wie diesem kann das dann unbewältigbar schwer werden", erklärt die Theologin, die das Jahr über als katholische Seelsorgerin in der Pfarre in Christkindl (Steyr) in der Jugendarbeit tätig ist. 

Druck und Angst nehmen

Dass da jemand ist, der einfach nur zuhört und nicht "entertainen" will, sei wichtig, betont daher Veranstalter Tunkel. Sogar dann, wenn dieses Offert nur sporadisch angenommen wird: "Zu wissen, dass es diese Möglichkeit gibt, nimmt sicher vielen Jugendlichen den Druck und die Angst."

Eines ist aber klar: Sponsoringvertrag mit der Kirche gibt es keinen. Die omnipräsenten Logos und das Branding sind und bleiben profan. Missioniert, erklärt Seelsorgerin Brandstetter, werde hier nicht. Denn ihr früheres, von Erzählungen, Mystifikationen und reißerischen Medienberichten genährtes Bild von Sodom & Gomorrha am türkischen Strand hat sie längst revidiert: "Der Summersplash ist kein gottloser Ort." (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 26.6.2012)