500.000 Dollar sollten das 17-jährige Mädchen ruhigstellen. Sie sollte nicht aussagen gegen den 88-jährigen Jugendberater Nechemya Weberman, der sie an ihrer Schule sexuell belästigt haben soll, als sie noch jünger war. Sie tat es trotzdem. Vergangene Woche wurden vier Männer angeklagt, sie und ihren Freund eingeschüchtert zu haben. Es ist ein Durchbruch für Missbrauchsopfer in Brooklyns ultraorthodoxer jüdischer Community. Zum ersten Mal stärkt ihnen Brooklyns Bezirksstaatsanwaltschaft dermaßen den Rücken. 

Seit Jahren kämpfen Menschenrechtsgruppen für mehr Aufklärung in Sexualstraffällen in New Yorks ultraorthodoxen jüdischen Vierteln. Rund 250.000 ultraorthodoxe Juden leben in New York, die größte Gruppe außerhalb Israels. Es ist eine isolierte Gemeinschaft mit ihren eigenen Bräuchen, Regeln und Gesetzen und gar einer eigenen Hilfspolizei. Die "Shomrim" (Wächter) sind eine Art Bürgerwehr, die in den 1970er Jahren gegründet wurde, um für  Ruhe und Ordnung in der Gemeinschaft zu sorgen.

Die Außenwelt mischt sich selten ein in die Belange von Brooklyns orthodoxen Juden. Die Rabbis haben das Sagen, und New Yorks Behörden respektieren das. Missbrauchsfälle kommen selten ans Tageslicht. Opfer müssten sich an Rabbis wenden, bevor sie die Behörden einschalten, oftmals würden jene ihnen davon abraten, die Polizei zu verständigen und ihre Peiniger anzuklagen, weil es den Ruf der Gemeinschaft gefährden würde. Täten sie es doch, würden sie von anderen Mitgliedern der Gemeinde eingeschüchtert und öffentlich gemieden. Ihre Kinder würden in der Schule geächtet, sie selbst aus den Synagogen ausgeschlossen und regelrecht wie Aussätzige behandelt, erzählen Opfer

Bezirksstaatsanwalt Charles Hynes wurde vielfach kritisiert für sein halbherziges Durchgreifen in Missbrauchsfällen in Brooklyns jüdischen Gemeinden. Er habe eine gute Beziehung zu den einflussreichen Rabbis und wolle diese nicht vergrämen, sie seien es schließlich, die seine Wiederwahl gewährleisten würden, heißt es.

Webermans Fall und die Anklage jener vier Männer, die versucht haben sollen, das 17-jährige Mädchen zu erpressen und einzuschüchtern, bedeuten für viele Missbrauchsopfer eine Wende in der Gemeinschaft. New Yorks Justizsystem lässt sie nicht länger im Stich. Sie sind nicht mehr allein in Brooklyns Shtetl. (Solmaz Khorsand, derStandard.at, 26.6.2012)