Bild nicht mehr verfügbar.

Der französische Präsident Françoise Hollande im Kreise der Industriearbeiter: Nun versucht er, Wahlversprechen einzulösen.

Foto: ap/christoph ena

Es sind nur vier Buchstaben, doch sie stehen für einen Glaubenskrieg: Der "Smic", die Abkürzung für Mindesteinkommen, rückt in Paris in den Brennpunkt einer Debatte, bei der es nicht nur um Lohnpolitik geht, sondern um die ganze wirtschaftspolitische Weichenstellung der neuen französischen Staatsführung.

Heute, Dienstag, will Präsident François Hollande ein zentrales Wahlversprechen einlösen und das sogenannte Salaire minimum interprofessionnel de croissance anheben. Der Smic beträgt derzeit knapp 1400 Euro brutto im Monat oder, auf die Stunde gerechnet, 9,22 Euro. Ganze Berufskategorien unterliegen ihm - etwa Kassiererinnen im Supermarkt oder Zimmerangestellte in Hotels. Insgesamt sind 3,7 Millionen Menschen betroffen, das sind 16 Prozent der Erwerbstätigen.

An kaum einer Frage scheiden sich die Sozialpartner stärker als am Smic. Nachdem der frühere konservative Präsident Nicolas Sarkozy den Smic fünf Jahre lang nur an die Teuerung angepasst hatte, verlangen die großen Gewerkschaften wie die CGT nun eine massive eine Erhöhung des Mindestlohnes um bis zu 20 Prozent, also auf etwa 1700 Euro. "In teuren Städten wie Paris mit 1400 Euro im Monat zu leben ist für eine alleinstehende Person schlicht unmöglich", argumentiert der Anführer von Force Ouvrière, Jean-Claude Mailly.

Firmen sehen Steuererhöhungen

Die Vorsteherin des Arbeitgeberverbandes Medef, Laurence Parisot, befürchtet hingegen nichts weniger als die "Erwürgung" der französischen Firmen, die sich unter Hollande bereits mit massiven Steuererhöhungen konfrontiert sehen. Mit Bezug auf die OECD, die den Mindestlohn generell als Hemmschuh für Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung sieht, meint Parisot, jetzt sei schon gar nicht der Zeitpunkt für eine Erhöhung, da das Handelsdefizit wachse und die Arbeitslosigkeit auf zehn Prozent steige. Der dem Medef nahestehende Ökonom Francis Kramarz behauptet, dass die Smic-Erhöhung "um ein Prozent dazu führen würde, dass die hauptbetroffenen Klein- und Mittelbetriebe 1,5 Prozent Smic-Jobs abbauen würden".

Henri Sterdyniak, Direktor am Französischen Organismus für Wirtschaftskonjunktur, zerstreut die Bedenken zum Teil: Betroffen durch eine Mindestlohnerhöhung seien vor allem Dienstleistungen. An der Supermarktkasse etwa ließe sich menschliche Arbeitskraft nur bedingt mechanisieren. Er stellt einen Bezug zwischen Smic-Erhöhung und Einstellungspolitik nicht grundsätzlich in Abrede. Aber er bringt ein Gegenargument ein, das gewichtiger sei: "Mindestlohnbezieher sparen naturgemäß wenig, sondern geben ihr Geld aus. Ein höherer Smic fließt daher direkt in den Binnenkonsum. Das kurbelt die Wirtschaft an und schafft Arbeitsplätze."

Letztlich ist es laut Sterdyniak eine Frage der Gewichtung: Ab einer gewissen Höhe koste der Mindestlohn mehr Stellen, als er schaffe; darunter sei er aber konjunkturfördernd. Er würde es vorziehen, wenn die EU-Länder in Sachen Mindestlohn geeint vorgingen. Sonst werde der Konjunktureffekt durch geringere Wettbewerbsfähigkeit neutralisiert.

Laut der Pariser Wirtschaftspresse dürfte Hollande den Smic um bescheidene zwei oder zweieinhalb Prozent anheben. Regierungsstimmen bestätigten diese Zahl und tönen sogar an, dass sie auch die Jahresteuerung 2012 von rund 1,6 Prozent einschließe.

Bruch mit Ära Sarkozy

Die ökonomische Wirkung von Hollandes Maßnahme dürfte eher begrenzt sein, politisch ist sie aber wegweisend. Nach den eher symbolischen Ankündigungen, die Gehälter der Minister (um 30 Prozent) und der Staatskonzernchefs (auf das 20-Fache des Smics) zu beschränken, macht der Präsident klar, dass er auf keynesianische Nachfragepolitik setzt. Er bricht damit bewusst mit der Sarkozy-Ära und setzt Prioritäten anders als Wettbewerbshüter in Brüssel und Berlin. Die Smic-Förderung ist auch ein Signal an europäische Partner, die er von seiner Politik der resoluten Wachstumsförderung zu überzeugen versucht.

Zugleich macht die Regierung mit der quantitativ geringen Erhöhung des Smic klar, dass sie den Forderungen der Gewerkschaften beschränkt entgegenkommt. Finanzminister Pierre Moscovici sagte am Montag, Frankreich müsse bei der anstehenden Budgetdebatte ein Haushaltsloch von sieben bis zehn Milliarden Euro stopfen und entsprechende Einsparungen vornehmen. (Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD, 26.6.2012)