Major Jan, 52, kämpft seit 2001 gegen die Taliban

Foto: Franz Stefan Gady

Major Jan mit einem seiner Offiziere beim Abhören von Taliban-Funkfrequenzen.

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Major Jan im Kreise von amerikanischen Offizieren und Unteroffizieren

Foto: Franz Stefan Gady

Der Adjutant von Major Jan posiert stolz neben einem erbeuteten Talibanmotorrad und Funkgerät.

Foto: Franz Stefan Gady

Endlich habe ich es auf den kleinen afghanischen Außenposten Kolagu, am Rande des Zormater-Beckens in 2700 Meter Höhe geschafft! Seit Tagen wurde mir von einigen amerikanischen Offizieren und Mannschaften über den Kommandanten dieses Stützpunktes fast schwärmerisch erzählt. Nach meinen letzten Erfahrungen mit der Afghan National Army brauche ich unbedingt ein positives Beispiel, sodass ich nicht ungerechtfertigt, die gesamte Armee als marodierenden Mob abkanzele.

Es dauerte einige Zeit, bis ich ein Platoon ueberreden konnte mich mitzunehmen, denn Kolagu und die in der umittelbaren Nähe liegenden Orte Khowti Kheyl, Sahak und Batan gelten als die größten Rückzugsgebiete der Taliban in der Provinz Paktia und sind die "heißesten" Zonen im Gefechtsabschnitt der Dog Company.
Der Gefechtsaußenposten Kolagu wird voll und ganz von der afghanischen Armee gefuehrt. Amerikaner sind nur selten, ein bis zweimal im Monat "Gäste", wenn eine gemeinsame Operation geplant ist. Im Ganzen sind weniger als 150 Mann hier stationiert. 

Nach der Ankunft unseres Konvois, sehe ich bereits den ersten Unterschied. Amerikaner und Afghanen fallen sich in die Arme und begrüßen sich herzlich. Innerhalb einer halben Stunde ist ein Volleyballturnier organisiert und die Soldaten beider Armeen spielen, als ich und einige Offiziere zur "Audienz" bei Major Jan schreiten.
Ich betrete die heruntergekommene Baracke neben dem Eingangstor und finde einem im Adidas-Jogginganzug sitzenden Mann mittleren Alters vor, mit einem schwarzen Schnauzbart, Zigarette lässig im Mundwinkel herunterhängend, Sandalen an den Füßen, schaut eher wie ein heruntergekommener Hausmeister auf Mittagspause aus. Nachdem ich von Ltd. Saylor, dem Platoon Leader, vorgestellt wurde, wollte ich mit meinem Interview beginnen als Jan mich durch den Übersetzer abrupt stoppte und fragte, ob ich denn Bilder von ihm schießen wolle. Ich bejahte , worauf er schnell in das Hinterzimmer verschwand, um seine Uniform anzuziehen. Als er heraustrat, sah er wie ausgewechselt aus; eine imposante Gestalt in Uniform, und Autorität ausstrahlend.

Bewegte Biografie

Major Jan ist ist Paschtune, bereits 52 Jahre alt und stammt aus Jalabad, einer Stadt im Osten Afghanistans. Ohne politische Verbindungen und ohne politische Ambitionen hat er bis jetzt nur zum Kompaniekommandanten gebracht. Er erzählt mir von seiner Zeit als Zugskommandant während des sowjetischen Krieges in Afghanistan. "Ich habe drei Monate in Moskau auf einer Kriegsschule verbracht. Eine wilde Zeit!", schmunzelt er. "Moskau, das ist Europa oder?" Ich bejahte seine Frage. Nach dem Abzug der Sowjets musste er die Armee verlassen. Als die Taliban an die Macht kamen verdiente er seinen Lebensunterhalt als Gemüsehändler. Im September 2001 trat er wieder der afghanischen Armee bei und bekämpft seitdem die Taliban. 

"Wir und die Amerikaner sind Brüder!", so Jan, "Wir kämpfen Seite an Seite. Dies ist der größte Unterschied zwischen den Russen und den Amerikanern: Die Sowjets trainierten zwar mit uns, doch ihre Missionen führten sie alleine aus. Die Amerikaner hingegen kooperieren mit uns voll und ganz!" 

Auf die Frage was die Amerikaner den der afghanischen Armee noch beibringen sollten bevor sie abziehen antwortete er rapide: "Besseres Training für unsere Spezialeinsatzkräfte! Ich bin absolut für gemeinsame afghanische-amerikanische Kommandoaktionen in der Nacht! Hier im Talibanrückzugsgebiet kann man nicht kleinlich sein!" Ein neben mir sitzender Unteroffizier meinte nur lakonisch: "It's pretty simple out here. You fight or you die!" Jan erzählte mir weiter, dass er den Friedensprozess der Karzairegierung unterstütze, und dass er voller Hoffnung in die Zukunft blicke.

Gerüchte über Abkommen mit Taliban

Major Jan muss oft "nachhelfen" um Informationen über die Taliban herauszubekommen. Ich sah selbst wie der einen Verdächtigen ohrfeigte, bis der endlich zugab, in welche Richtung sich Talibankämpfer zurückzogen. Die Bewohner des Dorfes Kolagu respektieren Jan jedoch, und oft muss er als einziger Regierungsvertreter in der näheren Umgebung Recht sprechen. Der Major ist auch seit 32 Jahren unbesiegt im Schachspiel. Die Amerikaner bringen während ihrer Aufenthalte immer einen Laptop mit, damit Jan gegen den Schachcomputer antreten kann - besiegt hat er den Computer bis jetzt noch immer.

Es wird gemunkelt, dass er ein geheimes Abkommen mit den Taliban hat, da sein Stützpunkt relative selten von Mörsern attackiert wird. Auf meine Frage danach will Jan aber nicht eingehen. Während des sowjetischen Krieges waren solche Abkommen keine Seltenheit; warum soll man sich auch jeden Tag die Köpfe einschlagen? 

Am Ende des Gespräches werde ich noch eingeladen die zuletzt lukrierte Kriegsbeute zu inspizieren, ein Funkgerät der Taliban und ein Motorrad. Danach schüttelt mir Jan die Hand. Die nächste Mission wird ins Herz der Taliban nach Kowti Kheyl gehen. Jans Männer werden uns begleiten ... (Franz Stefan Gady, derStandard.at, 25.6.2012)